Und schon wieder ist es Advent. Mal abgesehen davon, dass wir gerade erst Christkönig gefeiert und damit das Ende des liturgischen Jahres eingeläutet haben, sagt mir auch die ganze Stimmung der Schöpfung, dass sich der Advent nähert:
Draußen wird es mit jedem Tag dunkler und schon seit einigen Wochen ist es ganz allgemein auch eher ungemütlich. In einer abenteuerlichen Suche in den Tiefen meines Kleiderschrankes habe ich kürzlich die dicken Socken und Pullis wieder ans Tageslicht befördert, und überhaupt reicht ein Bummel in der Stadt, um zu merken, dass da was im Gange ist. Auch wenn man zugegebenermaßen beim Blick in die Schaufensterläden der Geschäfte meinen könnte, den Advent verschlafen zu haben und kurz vor Sylvester zu stehen.
Tja, da fällt mir dann eben plötzlich auf, dass ich tatsächlich Gefahr laufe, den Advent zu verschlafen. Schließlich ist halt „mal wieder“ Advent. Als ob das so selbstverständlich wäre. Weil halt „mal wieder“ Weihnachten kommt. Irgendwann muss man eben die Geschenke vorbereiten und Plätzchen backen.
Sollte es mich nicht stutzig machen, dass sich hier gerade eines der größten Geheimnisse meines Glaubens vor meinen Augen entfaltet? Gott wird Mensch, ein kleines Kind, geboren von einer Jungfrau in einem kleinen Dorf am Ende der Welt, den Gesetzen der menschlichen Natur unterworfen. Vollkommen unscheinbar. So unscheinbar, dass ich Gefahr laufe in meinem Alltagstrott vollkommen daran vorbeizuschießen.
Vielleicht ist es nicht ganz ohne Bedacht, dass wir eine Vorbereitungszeit auf Weihnachten haben. Die erste Lesung der Liturgie fordert uns heute dazu auf, vom Schlaf aufzuwachen: „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. […] Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe“ (Römer 13,11–12, EÜ). Und warum? „Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.“ (ibid). Das Heil ist mir nahe. Näher als früher. Sprich: Hier und heute, am Ende des Jahres 2022, naht sich für mich ein besonderer Moment der Begegnung mit dem Heil, ein erneuerter Moment. Ein kraftvoller Moment, der in sich eine echte Bedeutung trägt, mehr sogar als früher. Denn es ist diese meine Gegenwart – und nicht die Vergangenheit – in der das Heil zu mir kommen möchte.
Und das Heil hat einen Namen: Emmanuel, Gott mit uns. Ist es nicht wunderbar, dass Gott sich in unserem hier und jetzt den Weg zu uns bahnt? Mit der Einladung ihm auch hier und jetzt zu begegnen? Jesus möchte mir nicht einfach nur im vergangenen Jahr begegnet sein, er will mir auch nicht nur im nächsten Jahr wieder begegnen, sondern jetzt, hier, in der Gegenwart. In der Gegenwart mit ihren konkreten Sorgen und Problemen.
Vielleicht können wir uns erlauben – mit viel künstlerischer Freiheit – einen uralten christlichen Hymnus anpassen: „Wach [jetzt im Advent] auf, du Schläfer, und Christus wird [an Weihnachten] dein Licht sein” (cf. Epheser 5,14, EÜ).
Gottes Segen, Euer,
Br. Rafael-Maria Böhm LC
(Br. Raphael-Maria studiert zur Zeit Theologie in Rom und bereitet sich auf die Diakonweihe im Jahr 2023 vor.)