Samstag, 5. Oktober 2013

Schreiben Johannes Paul II zum Gründonnerstag 2005

Liebe Priester!

1. In diesem Jahr der Eucharistie kommt mir unsere alljährliche geistliche Begegnung am Gründonnerstag, dem Tag, an dem Christus »seine Liebe bis zur Vollendung« erwiesen hat (Joh 13, 1), dem Tag der Eucharistie und dem Tag unseres Priestertums, besonders gelegen.

Auf Euch, liebe Priester, richten sich meine Gedanken, während ich als Kranker unter den Kranken im Hospital eine Zeit der Behandlung und der Rehabilitation verbringe und in der Eucharistie mein Leiden mit dem Leiden Christi verbinde. In diesem Geist möchte ich mit Euch über einige Aspekte unserer priesterlichen Spiritualität nachdenken.

Dabei lasse ich mich von den Worten der Einsetzung der Eucharistie leiten, jenen Worten, die wir jeden Tag in persona Christi aussprechen, um auf unseren Altären das ein für allemal auf Golgotha vollbrachte Opfer gegenwärtig zu setzen. Von diesen Worten gehen lichtvolle Anhaltspunkte für die priesterliche Frömmigkeit aus: Wenn die ganze Kirche aus der Eucharistie lebt, muß das Leben des Priesters in besonderer Weise eine »eucharistische Gestalt« haben. Die Einsetzungsworte der Eucharistie dürfen für uns daher nicht nur eine Konsekrationsformel sein, sondern eine »Formel für das Leben«.

Eine zutiefst »verdankte« Existenz

2. »Tibi gratias agens benedixit ...« In jeder heiligen Messe erneuern wir in der Erinnerung die primäre innere Haltung, die Jesus beim Akt des Brotbrechens zum Ausdruck gebracht hat: die Danksagung. Die Dankbarkeit ist die Haltung, die dem Begriff »Eucharistie« selbst zugrunde liegt. In diesem Ausdruck des Dankens fließt die gesamte biblische Spiritualität des Lobpreises der mirabilia Dei zusammen. Gott liebt uns, kommt uns mit seiner Vorsehung zuvor und begleitet uns mit fortgesetzten Taten des Heils.

In der Eucharistie dankt Jesus dem Vater mit uns und für uns. Wie könnte diese Danksagung Jesu da nicht das Leben des Priesters prägen? Er versteht es, eine Gesinnung beständiger Dankbarkeit für die vielen im Laufe seines Lebens empfangenen Gaben zu kultivieren: insbesondere für das Geschenk des Glaubens, dessen Künder er geworden ist, und für das Geschenk des Priestertums, das ihn ganz und gar dem Dienst am Gottesreich weiht. Wir haben unsere Kreuze und gewiß sind wir nicht die einzigen! Dennoch sind die empfangenen Gaben so groß, daß wir nicht anders können, als aus der Tiefe unseres Herzens unser Magnifikat zu singen.

Eine »geschenkte« Existenz

3. »Accipite et manducate ... Accipite et bibite ...« Die Selbst-Verschenkung Christi, die ihren Ursprung im trinitarischen Leben des Gottes der Liebe hat, erreicht ihren höchsten Ausdruck im Opfer am Kreuz, dessen sakramentale Vorausnahme das Letzte Abendmahl ist. Wir können die Konsekrationsworte nicht wiederholen, ohne daß wir uns in diese geistliche Haltung einbegriffen wissen. In einem gewissen Sinn muß der Priester lernen, auch von sich selbst in Wahrheit und mit Großmut zu sprechen: »nehmet und esset«. Tatsächlich hat sein Leben Sinn, wenn er es versteht, sich zu einer Gabe zu machen, indem er sich der Gemeinschaft zur Verfügung stellt und sich in den Dienst eines jeden begibt, der ihn braucht.

Genau dies ist es, was Jesus von seinen Jüngern erwartete, wie der Evangelist Johannes in seinem Bericht von der Fußwaschung hervorhebt. Dies ist es, was auch das Gottesvolk vom Priester erwartet. Beim genaueren Nachdenken wird klar, daß der Gehorsam, zu dem er sich am Tag seiner Weihe verpflichtet hat und dessen Versprechen in der Chrisam-Messe zu bekräftigen er eingeladen ist, durch diesen Bezug zur Eucharistie erhellt wird. Indem er aus Liebe Gehorsam leistet wobei er vielleicht auf legitime Freiräume verzichtet, wenn das maßgebende Urteil der Bischöfe dies verlangt , verwirklicht der Priester am eigenen Leib jenes »nehmet und esset«, mit dem Christus selbst sich beim Letzten Abendmahl für die Kirche hingegeben hat.

Ein »erlöstes« Leben, um der Erlösung zu dienen

4. »Hoc est enim corpus meum quod pro vobis tradetur.« Der Leib und das Blut Christi sind hingegeben für das Heil des Menschen, des ganzen Menschen und aller Menschen. Dieses Heil ist integral und gleichzeitig universal, damit es keinen Menschen gibt, der wenn nicht durch einen freien Akt der Ablehnung von der Heilsmacht des Blutes Christi ausgeschlossen bliebe: »qui pro vobis et pro multis effundetur«. Es handelt sich um ein Opfer, das für »viele« hingegeben wird, wie der biblische Text (Mk 14, 24; Mt 26, 28; vgl. Jes 53, 11-12) in einer typisch semitischen Ausdrucksweise sagt. Während diese die große Schar bezeichnet, zu der das Heil gelangt, das der eine Christus gewirkt hat, schließt sie zugleich die Gesamtheit der Menschen ein, der es dargeboten wird: Es ist das Blut, »das für euch und für alle vergossen wird«, wie einige Übersetzungen legitim deutlich machen. Das Fleisch Christi ist in der Tat hingegeben »für das Leben der Welt« (Joh 6, 51; vgl. 1 Joh 2, 2).

Wenn wir die verehrungswürdigen Worte Christi beim andächtigen Schweigen der Liturgie feiernden Gemeinde wiederholen, werden wir Priester zu bevorzugten Verkündern dieses Heilsgeheimnisses. Aber wie können wir dies in wirksamer Weise sein, ohne uns selbst erlöst zu fühlen? Uns erreicht die Gnade als erste im Innersten. Sie erhebt uns aus unserer Zerbrechlichkeit und läßt uns mit dem den Söhnen eigenen Vertrauen rufen: »Abba, Vater« (vgl. Gal 4, 6; Röm 8, 15). Und dies verpflichtet uns, auf dem Weg der Vollkommenheit voranzuschreiten. Denn das Heil findet in der Heiligkeit seinen vollgültigen Ausdruck. Nur wenn wir als Erlöste leben, werden wir zu glaubwürdigen Verkündern des Heils. Andererseits gilt: Wenn wir uns jedes Mal des Willens Christi bewußt werden, allen das Heil darzubieten, wird dies in unserem Geist den missionarischen Eifer anfachen, der einen jeden von uns anspornt, »allen alles zu werden, um auf
jeden Fall einige zu gewinnen« (vgl. 1 Kor 9, 22).

Eine Existenz als »Gedächtnis«

5. »Hoc facite in meam commemorationem.« Diese Worte Jesu sind uns nicht nur bei Lukas (22, 19) sondern auch bei Paulus (1 Kor 11, 24) überliefert. Der Zusammenhang, in dem sie ausgesprochen wurden, dies sollte man sich vor Augen halten ist das Paschamahl, das für die Juden ein »Gedächtnis« (auf Hebräisch zikkarôn) war. Bei diesem Anlaß gedachten die Israeliten vor allem des Exodus', aber auch anderer wichtiger Ereignisse ihrer Geschichte: der Berufung Abrahams, des Opfers Isaaks, des Bundesschlusses am Sinai, vieler Eingriffe Gottes zum Schutz seines Volkes. Auch für die Christen ist die Eucharistie ein »Gedächtnis«, jedoch auf eine einzigartige Weise: Sie ist nicht nur Gedenken, sondern sie vergegenwärtigt sakramental den Tod und die Auferstehung des Herrn.

Darüber hinaus möchte ich hervorheben, daß Jesus gesagt hat: »Tut dies zu meinem Gedächtnis.« Die Eucharistie gedenkt nicht einfach einer Tatsache; sie gedenkt Seiner! Jeden Tag in persona Christi die Worte des Gedächtnisses zu wiederholen bedeutet für den Priester eine Einladung, eine »Spiritualität des Gedächtnisses« zu entfalten. In einer Zeit, in der die schnellen Veränderungen in Kultur und Gesellschaft den Sinn für die Tradition geringer werden lassen und insbesondere die jungen Generationen der Gefahr aussetzen, die Verbindung zu den eigenen Wurzeln zu verlieren, ist der Priester aufgerufen, in der ihm anvertrauten Gemeinde der Mensch der getreuen Erinnerung an Christus und an sein ganzes Geheimnis zu sein: an die Vorausverkündigung Christi im Alten Testament, an die Erfüllung im Neuen Testament und an die fortschreitende Vertiefung des Geheimnisses Christi unter der Anleitung des Heiligen Geistes gemäß der Verheißung: »Er wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe« (Joh 14, 26).

Eine »geweihte« Existenz

6. »Mysterium fidei!« Mit diesem Ruf nach der Wandlung des Brotes und des Weines bringt der Priester das stets neue Staunen über das außergewöhnliche Wunder, das sich in seinen Händen vollzogen hat, zum Ausdruck. Es ist ein Wunder, das nur die Augen des Glaubens wahrnehmen können. Die natürlichen Elemente verlieren ihre äußeren Eigenschaften nicht, da die »Gestalten« jene des Brotes und des Weines bleiben; durch die Kraft der Worte Christi und das Wirken des Heiligen Geistes wandelt sich aber ihre »Substanz« in die Substanz des Leibes und Blutes Christi. So ist auf dem Altar der gestorbene und auferstandene Christus in der Ganzheit seiner Menschheit und Gottheit »wahrhaft, wirklich, substanzhaft« gegenwärtig. Eine eminent heilige Wirklichkeit also! Deswegen umgibt die Kirche dieses Geheimnis mit großer Ehrfurcht und wacht aufmerksam darüber, daß die liturgischen Normen, die zum Schutz der Heiligkeit dieses so großen Sakraments aufgestellt wurden, beachtet werden.

Wir Priester sind die Zelebranten, aber auch die Hüter dieses hochheiligen Geheimnisses. Aus unserer Beziehung zur Eucharistie erhält auch der »heilige« Stand unseres Lebens seinen höchst anspruchsvollen Sinn. Diese Heiligkeit muß durch die ganze Art und Weise unseres Seins ausgedrückt werden, vor allem aber durch die Art und Weise des Zelebrierens. Begeben wir uns daher in die Schule der Heiligen! Dieses Jahr der Eucharistie lädt uns ein, die Heiligen neu zu entdecken, die mit besonderem Nachdruck die Verehrung der Eucharistie bezeugt haben (vgl. Mane nobiscum Domine, 31). Viele selig- und heiliggesprochene Priester haben ein beispielhaftes Zeugnis gegeben, indem sie in den Gläubigen, die ihren Meßfeiern beiwohnten, Glaubenseifer entfachten. Für viele von ihnen war die lange eucharistische Anbetung kennzeichnend. Vor dem eucharistischen Jesus verweilen, gewissermaßen unsere »Einsamkeit« nutzen, um sie mit dieser heiligen Gegenwart Christi zu füllen, bedeutet, unserer Weihe die ganze Wärme der Vertrautheit mit Christus zu verleihen, von dem unser Leben Freude und Sinn bezieht.

Ein auf Christus hin ausgerichtetes Leben

7. »Mortem tuam annuntiamus, Domine, et tuam resurrectionem confitemur, donec venias.« Jedes Mal wenn wir die Eucharistie feiern, wird das Gedächtnis Christi in seinem Paschageheimnis zum Wunsch nach der vollen und endgültigen Begegnung mit ihm. Wir leben in der Erwartung seines Kommens! In der priesterlichen Spiritualität muß diese Spannung in der eigenen Form pastoraler Liebe gelebt werden, die uns dazu verpflichtet, inmitten des Volkes Gottes zu leben, um seinem Weg die richtige Orientierung zu geben und seine Hoffnung zu nähren. Diese Aufgabe verlangt vom Priester eine innere Haltung ähnlich derjenigen, die der Apostel Paulus in sich selbst lebte: »Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen ...« (Phil 3, 13-14). Der Priester ist jemand, der trotz des Voranschreitens der Jahre weiter Jugendlichkeit ausstrahlt, mit der er die Menschen, denen er auf seinem Weg begegnet, gleichsam »ansteckt«. Das Geheimnis liegt in der »Leidenschaft«, die er für Christus lebt. Der heilige Paulus sagte: »Denn für mich ist Christus das Leben« (Phil 1, 21).

Vor allem im Zusammenhang mit der Neuevangelisierung haben die Menschen das Recht, sich an die Priester zu wenden in der Hoffnung, in ihnen Christus »sehen« zu können (vgl. Joh 12, 21). Insbesondere die Jugendlichen verspüren ein Bedürfnis danach, daß Christus sie immer wieder zu sich ruft, um sie zu seinen Freunden zu machen und um einigen von ihnen die Ganzhingabe um des Himmelreiches willen vorzuschlagen. An Berufungen wird es sicher nicht mangeln, wenn die Qualität unseres priesterlichen Lebens steigt, wenn wir heiliger sind, fröhlicher und leidenschaftlicher in der Ausübung unseres Amtes. Ein von Christus »ergriffener« Priester (vgl. Phil 3, 12) wird andere leichter für die Entscheidung »gewinnen«, am gleichen Abenteuer teilzunehmen.

Eine »eucharistische« Existenz in der Schule Mariens

8. Die Beziehung der heiligen Jungfrau Maria zur Eucharistie ist sehr eng. Daran habe ich in der Enzyklika Ecclesia de Eucharistia (vgl. Nrn. 53-58) erinnert. Dies unterstreicht selbst in der Nüchternheit der liturgischen Sprache jedes Eucharistische Hochgebet. So beten wir im Römischen Meßkanon: »In Gemeinschaft mit der ganzen Kirche gedenken wir deiner Heiligen. Wir ehren vor allem Maria, die glorreiche, allzeit jungfräuliche Mutter unseres Herrn und Gottes Jesus Christus«. In den anderen Eucharistischen Hochgebeten wird die Verehrung sodann zum bittenden Gebet, wie zum Beispiel im zweiten Meßkanon: »Vater, erbarme dich über uns alle, damit uns das ewige Leben zuteil wird in der Gemeinschaft mit der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria«.

Als ich in diesen Jahren, besonders in den Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte (vgl. Nrn. 23ff.) und Rosarium Virginis Mariæ (vgl. Nrn. 9ff.), auf die Betrachtung des Antlitzes Christi gedrungen habe, wollte ich auf Maria als die große Lehrmeisterin hinweisen. In der Enzyklika über die Eucharistie habe ich sie dann als »eucharistische Frau« (vgl. Nr. 53) vorgestellt. Wer kann uns die Größe des eucharistischen Geheimnisses besser verkosten lassen als Maria? Niemand anders als sie kann uns lehren, mit welcher Inbrunst man die heiligen Geheimnisse feiern und in der Gegenwart ihres unter dem eucharistischen Schleier verborgenen Sohnes verweilen muß. Um Euer aller willen flehe ich sie also an, ihr vertraue ich besonders die alten, die kranken Priester an und alle, die sich in Schwierigkeiten befinden. Zum Osterfest in diesem Jahr der Eucharistie erinnere ich gern jeden von Euch an das süße und beruhigende Wort Jesu: »Siehe, deine Mutter« (Joh 19, 27).

In diesem Sinn segne ich Euch von Herzen und wünsche Euch eine tiefe österliche Freude.

Aus der Gemelli-Klinik in Rom, am 13. März, dem fünften Fastensonntag des Jahres 2005, im siebenundzwanzigsten Jahr meines Pontifikates.

JOHANNES PAUL II.


 

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