Samstag, 5. Oktober 2013

Schreiben Johannes Paul II zum Gründonnerstag 1999

« Abbà, Vater! »

Liebe Brüder im Priesteramt, meine Begegnung mit euch am Gründonnerstag in diesem dem Groben Jubiläumsjahr 2000 unmittelbar voraufgehenden Jahr steht unter dem Zeichen dieser Anrufung, in der nach Meinung der Exegeten die ipsissima vox Iesu, die ureigene Stimme Jesu durchklingt. Diese Anrede birgt das unergründliche Geheimnis des Mensch gewordenen Wortes, das vom Vater in die Welt gesandt wurde zum Heil der Menschheit.

Die Sendung des Sohnes Gottes gelangte zur Vollendung, als er durch seine Selbsthingabe unsere Annahme an Kindes Statt verwirklichte und durch das Geschenk des Heiligen Geistes jedem Menschen die Möglichkeit eröffnete, an der Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott teilzuhaben. Im Ostergeheimnis hat sich Gott der Vater durch den Sohn im Heiligen Geist der Armseligkeit jedes einzelnen Menschen angenommen, indem er ihm die Erlösung von der Sünde und die Befreiung vom Tod ermöglicht hat.

1. Bei der Feier der Eucharistie beenden wir das Tagesgebet mit den Worten: »Durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Herrn und Gott, der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit«. Jesus Christus lebt und herrscht mit dir, Vater! Diese Schlubformel führt sozusagen von unten nach oben: durch Christus im Heiligen Geist zum Vater. Das ist auch die theologische Vorlage, die dem Programm für das Triennium 1997-1999 zugrundeliegt: zuerst das Jahr des Sohnes, dann das Jahr des Heiligen Geistes und jetzt das Jahr des Vaters.

Diese aufsteigende Bewegung geht sozusagen von der absteigenden aus, die vom Apostel Paulus im Brief an die Galater beschrieben ist, einem Abschnitt, über den wir in der Liturgie von Weihnachten besonders intensiv nachgedacht haben: »Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen« (Gal 4, 4-5).

Hier finden wir die Bewegung nach unten ausgedrückt: Gott der Vater sandte seinen Sohn, um uns in ihm an Kindes Statt anzunehmen. Im Paschamysterium erfüllte Jesus den Plan des Vaters, indem er sein Leben für uns hingab. Der Vater sandte dann den Geist des Sohnes, um uns über dieses auberordentliche Privileg aufzuklären: »Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater. Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott« (Gal 4, 6-7).

Ist das, was der Apostel schreibt, nicht einzigartig? Er bekräftigt, dab es der Geist ist, der ruft: Abbà, Vater! Derjenige, der in der Geschichte von der Vaterschaft Gottes Zeugnis ablegte, war in Wirklichkeit der Sohn Gottes im Geheimnis der Menschwerdung und der Erlösung. Er hat uns gelehrt, Gott in unserem Gebet als »Vater« anzurufen. Er selbst rief zu ihm: »Mein Vater«, und lehrte uns die liebevolle Bitte: »Vater unser«. Der Apostel Paulus sagt uns aber, dab das, was der Sohn gelehrt hat, gewissermaben im Herzen dessen, der ihn durch die innere Unterweisung des Heiligen Geistes hört, konkrete Gestalt annehmen soll. Denn nur durch sein Wirken werden wir fähig, Gott in Wahrheit anzubeten und ihn »Abbà, Vater« zu nennen.

2. Liebe Brüder im Priesteramt, ich schreibe euch diese Zeilen im Hinblick auf den Gründonnerstag, an dem ich euch bei der Chrisammesse um eure Bischöfe versammelt sehe. Ich wünsche mir von Herzen, dab ihr euch gemeinsam mit euren Mitbrüdern des Presbyteriums in Einheit mit der ganzen Kirche fühlt, die das Jahr Gottes des Vaters begeht, ein Jahr, das das Ende des 20. Jahrhunderts und des 2. christlichen Jahrtausends ankündigt.

Müssen wir Gott nicht danken, wenn wir Rückschau halten und dabei an die Scharen der Priester denken, die in dieser langen Zeitspanne ihr Dasein dem Dienst am Evangelium gewidmet haben und dabei mitunter bis zur Hingabe ihres Lebens gegangen sind? Während wir im Geiste des kommenden Jubiläums die Grenzen und Unterlassungen der vergangenen christlichen Generationen und ihrer Priester bekennen, anerkennen wir mit Freude, dab ein beträchtlicher Teil des unschätzbaren Dienstes, den die Kirche als Wegbegleiterin der Menschheit leistet, dem demütigen und treuen Wirken so vieler Diener Jesu Christi zu verdanken ist. Diese haben sich im Lauf des letzten Jahrtausends mit Hochherzigkeit als Baumeister einer Zivilisation der Liebe eingesetzt.

Was sind das für Zeiträume! Wenn man es recht bedenkt, dann kehrt die Zeit, obwohl sie sich vom Anfang immer weiter entfernt, zugleich immer wieder zum Anfang zurück. Darin liegt das Wesentliche: Denn würde die Zeit sich immer nur weiter vom Anfang entfernen, ohne eine klare Zielsetzung zu haben, d. h. gerade die Wiedererlangung des Anfangs, dann wäre unser ganzes Dasein in der Zeit ohne endgültige Ausrichtung. Es wäre sinnlos.

Christus, »das Alpha und das Omega ... der ist und der war und der kommt« (Offb 1, 8), hat dem Gang des Menschen durch die Zeit Ausrichtung und Sinn verliehen. Er hat von sich selbst gesagt: »Vom Vater bin ich ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater« (Joh 16, 28). Und so ist unser »Durchgang« vom Christusereignis durchwoben. Unser Weg ist ein »Durchgang« mit Ihm; dabei gehen wir in dieselbe Richtung, die Er gegangen ist: zum Vater.

Das wird während des Heiligen Triduums noch deutlicher, in den heiligen Tagen, in denen wir durch das Geheimnis seines Leidens, Sterbens und seiner Auferstehung an der Rückkehr Christi zum Vater teilhaben. Denn der Glaube versichert uns, dab dieser Durchgang Christi zum Vater hin, das heibt sein Ostern, kein Ereignis ist, das nur Ihn betrifft. Auch wir sind gerufen, daran teilzuhaben. Sein Ostern ist unser Ostern.

So gehen wir mit Christus zum Vater. Wir tun es durch das Paschamysterium, wenn wir die Stunde seines Leidens neu erleben, in der er am Kreuz sterbend ausrief: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Mk 15, 34), und dann fügte er hinzu: »Es ist vollbracht!« (Joh 19, 30), »Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist« (Lk 23, 46). Diese Worte aus dem Evangelium sind jedem Christen und besonders jedem Priester vertraut. Sie geben Zeugnis von unserem Leben und unserem Sterben. Am Ende eines jeden Tages wiederholen wir im Stundengebet: »In manus tuas, Domine, commendo spiritum meum«. Damit wollen wir uns auf das grobe Geheimnis des Durchgangs vorbereiten: das existentielle Ostern, wenn Christus durch seinen Tod und seine Auferstehung uns empfangen wird, um uns dem himmlischen Vater zu übergeben.

3. »Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will« (Mt 11, 25-27). Ja, nur der Sohn kennt den Vater. Er, der »am Herzen des Vaters ruht«, schreibt Johannes in seinem Evangelium (1, 18), er hat uns Kunde von ihm gebracht, sein Antlitz gezeigt und sein Herz enthüllt. Auf die Bitte des Apostels Philippus beim letzten Abendmahl: »Zeig uns den Vater« (Joh 14, 8), antwortete Christus: Schon so lange bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? ... Glaubst du nicht, dab ich im Vater bin und dab der Vater in mir ist?« (Joh 14, 9-10). Mit diesen Worten bezeugte Jesus das dreifaltige Geheimnis seines ewigen Gezeugtseins als Sohn vom Vater, das Geheimnis, das den tiefsten Wesenskern seiner göttlichen Person bildet. Das Evangelium ist eine fortschreitende Offenbarung des Vaters. Als Josef und Maria den zwölfjährigen Jesus im Tempel mitten unter den Lehrern finden und die Mutter sagt: »Kind, wie konntest du uns das antun?« (Lk 2, 48), antwortet er unter Hinweis auf den Vater: »Wubtet ihr nicht, dab ich in dem sein mub, was meinem Vater gehört?« (Lk 2, 49). Kaum zwölf Jahre alt, hat er schon die Bedeutung des eigenen Lebens, den Sinn seiner Sendung erkannt, die von der ersten bis zur letzten Stunde »dem, was dem Vater gehört«, gelten mub. Sie erreicht ihren Höhepunkt auf Golgota durch den Opfertod am Kreuz, den Christus im Geist des Gehorsams und kindlicher Hingabe annimmt: »Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst ... (es) geschehe dein Wille« (Mt 26, 39.42). Der Vater nimmt das Opfer des Sohnes an, denn er hat die Welt so sehr geliebt, dab er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat (vgl. Joh 3, 16). Ja, nur der Sohn kennt den Vater, und deshalb kann nur Er ihn offenbaren.

4. »Per ipsum, et cum ipso, et in ipso ...«. »Durch ihn und mit ihm und in ihm ist dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Herrlichkeit und Ehre jetzt und in Ewigkeit«.

An diesem besonderen Tag geistig vereint und sichtbar in den Bischofskirchen versammelt, danken wir Gott für das Geschenk des Priestertums. Wir danken für das Geschenk der Eucharistie, die wir als Priester feiern. Der Lobpreis zum Abschlub des Kanons ist für jede Eucharistiefeier von grundlegender Bedeutung. Sie verdeutlicht in gewissem Sinn die Krönung des Mysterium fidei, den Höhepunkt des eucharistischen Opfers, das heibt den Augenblick, in dem wir durch die Kraft des Heiligen Geistes die Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi vornehmen, wie Er selbst es zum ersten Mal im Abendmahlssaal getan hat. Gerade in dem Augenblick, in dem das Eucharistische Hochgebet den Höhepunkt erreicht, richtet die Kirche in der Person des geweihten Amtsträgers an den Vater die folgenden Worte: »Durch ihn und mit ihm und in ihm ist dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Herrlichkeit und Ehre jetzt und in Ewigkeit«. Sacrificium laudis!

5. Nachdem die Versammlung feierlich mit »Amen« geantwortet hat, stimmt der Zelebrant das Gebet des Herrn, das »Vaterunser«, an. Die Abfolge dieser Elemente ist sehr wichtig. Das Evangelium berichtet von den Aposteln, die über das andächtige Zwiegespräch mit dem Vater so erstaunt waren, dab sie ihn baten: »Herr, lehre uns beten« (Lk 11, 1). Daraufhin sprach er zum ersten Mal die Worte, die später das wichtigste und häufigste Gebet der Kirche und aller Christen werden sollten: das »Vaterunser«. Wenn wir im Verlauf der Eucharistiefeier als liturgische Versammlung die gleichen Worte sprechen, erhalten sie eine ganz besondere Ausdruckskraft. Es ist so, als würden wir in diesem Moment bekennen, dab Christus uns sein an den Vater gerichtetes Gebet endgültig und in seiner ganzen Fülle gelehrt hat, als er es durch sein Kreuzesopfer einlöste.

Im Eucharistischen Hochgebet kommt der volle Gehalt des von der Kirche gesprochenen »Vaterunser« zum Ausdruck. Jede der darin enthaltenen Bitten erhält einen besonderen Glanz der Wahrheit. Am Kreuz wird der Name des Vaters in höchstem Mab geheiligt, und das Kommen seines Reiches ist unwiderruflich; im »consummatum est« geschieht sein Wille endgültig. Und findet die Bitte »Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir sie vergeben...« nicht ihre volle Bestätigung in den Worten des Gekreuzigten: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun« (Lk 23, 34)? Die Bitte um das tägliche Brot erhält bei der eucharistischen Kommunion ihre besondere Eindringlichkeit, wenn wir unter den Gestalten des »gebrochenen Brotes« den Leib Christi empfangen. Und erreicht die Bitte »Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen« nicht ihre höchste Wirksamkeit in dem Augenblick, wenn die Kirche dem Vater den höchsten Preis der Erlösung und Befreiung vom Bösen darbringt?

6. In der Eucharistie verbindet sich der Priester persönlich mit dem unerschöpflichen Geheimnis Christi und seiner Bitte an den Vater. Er darf täglich in dieses Geheimnis der Erlösung und Gnade eintauchen, wenn er die heilige Messe feiert, die auch ihren Sinn und Wert behält, wenn sie aus guten Gründen ohne die Teilnahme des Volkes, aber immer für das Volk und für die ganze Welt dargebracht wird. Gerade wegen seiner unlöslichen Bindung an das Priestertum Christi ist der Priester Lehrer des Gebetes, und die Gläubigen können zurecht an ihn dieselbe Bitte richten, mit der sich die Jünger einmal an Jesus gewandt hatten: »Lehre uns beten«.

Die Eucharistiefeier ist für die Gemeinde die Schule des christlichen Gebets schlechthin. Von der Messe leiten sich vielfältige Wege einer gesunden geistlichen Pädagogik ab. Dazu gehört die Anbetung des allerheiligsten Sakramentes, die eine natürliche Verlängerung der Feier ist. Durch sie können die Gläubigen eine besondere Erfahrung des »Bleibens« in der Liebe Christi (vgl. Joh 15, 9) machen und so immer tiefer in seine Beziehung als Sohn zum Vater eindringen.

Gerade in dieser Hinsicht ermutige ich jeden Priester, seine Aufgabe voll Vertrauen und Zuversicht zu erfüllen und die Gemeinde zum wahrhaft christlichen Gebet anzuleiten. Dieser Aufgabe darf er sich nicht entziehen, auch wenn die aus der säkularisierten Mentalität erwachsenen Schwierigkeiten sie ihm manchmal sehr erschweren mögen.

Der starke missionarische Auftrieb, den die göttliche Vorsehung der Kirche unserer Zeit vor allem durch das II. Vatikanische Konzil gegeben hat, ruft ganz besonders die geweihten Amtsträger auf den Plan und fordert sie vor allem zur Umkehr auf: sich bekehren, um andere zur Umkehr zu bewegen oder, anders gesagt, die Gotteskindschaft deutlich machen, damit jeder Getaufte die Würde und Freude neu entdeckt, dem himmlischen Vater anzugehören.

7. Am Gründonnerstag erneuern wir, liebe Brüder, das priesterliche Treueversprechen. Damit wollen wir sagen, dab Christus uns wieder durch sein heiliges Priestertum, seine Selbsthingabe und seine Todesangst in Getsemani, durch seinen Opfertod auf Golgota und seine glorreiche Auferstehung umfangen möge. Indem wir in allen diesen Heilsereignissen gleichsam in Christi Fubstapfen treten, entdecken wir seine tiefste Hinwendung zum Vater. Und deshalb findet in jeder Eucharistiefeier die Bitte des Apostels Philippus im Abendmahlssaal sozusagen ihren Widerhall: »Herr, zeige uns den Vater«. Und jedesmal scheint Christus im Mysterium fidei zu antworten: »Schon so lange bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt? ... Glaubst du nicht, dab ich im Vater bin und dab der Vater in mir ist?« (Joh 14, 9-10).

An diesem Gründonnerstag, liebe Priester in aller Welt, werden wir uns an die am Weihetag empfangene Salbung mit Chrisam erinnern und voll Dankbarkeit einmütig bekennen:

Per ipsum, et cum ipso, et in ipso,
est tibi Deo Patri omnipotenti,
in unitate Spiritus Sancti,
omnis honor et gloria
per omnia saecula saeculorum. Amen.


 

Aus dem Vatikan, am 14. März, dem vierten Fastensonntag 1999 im 21. Jahr des Pontifikates.

Copyright © Libreria Editrice Vaticana

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