Donnerstag, 31. Oktober 2013

Petrus, der Fels

Ansprache von Benedikt XVI. am 07.06.2006

Heute möchte ich mit euch weiter über Simon Petrus und seine Stellung im Kreis der Apostel nachdenken. Das Evangelium berichtet uns, daß Simon bei seiner Berufung einen neuen Namen erhält. Jesus blickt den Sohn des Johannes an und sagt ihm: Du sollst Kephas heißen. Der Evangelist fügt erläuternd hinzu: Kephas bedeutet Fels Petrus (Joh 1, 42). Diese Namensgebung zu Beginn der Mission des Menschenfischers unterstreicht die ihm vom Herrn selbst zugedachte hervorgehobene Rolle unter den Jüngern. Immer wieder ist es Petrus, der im Namen der anderen Apostel spricht. Auf sein Bekenntnis zu Jesus Du bist der Sohn des lebendigen Gottes! erhält er den Auftrag und die Vollmacht des Herrn: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen (vgl. Mt 16, 1518). Die anschaulichen Worte des Evangeliums von den Schlüsseln des Himmelreichs und vom Mandat Petri zu binden und zu lösen begründen später den mit dem Petrusamt verbundenen Jurisdiktionsprimat. Wir sehen, liebe Freunde, die Vorrangstellung Petri im Apostelkollegium setzt sich fort in der Gemeinschaft der Kirche. Einen ersten Hinweis darauf finden wir in den Berichten über das Apostelkonzil in Jerusalem, bei dem Petrus eine Leitungsfunktion innehat (Apg 15; Gal 2, 1-10).

Wir nehmen die wöchentlichen Katechesen wieder auf, mit denen wir in diesem Frühjahr begonnen haben. Bei der letzten Katechese vor vierzehn Tagen hatte ich von Petrus als dem Ersten der Apostel gesprochen; heute wollen wir noch einmal auf diese große und wichtige Gestalt der Kirche zurückkommen. Der Evangelist Johannes berichtet von der ersten Begegnung Jesu mit Simon, dem Bruder des Andreas, und erwähnt dabei einen einzigartigen Vorfall: »Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels (Petrus)« (Joh 1,42). Gewöhnlich änderte Jesus die Namen seiner Jünger nicht. Sieht man von dem Beinamen »Donnersöhne« ab, den er in einer ganz bestimmten Situation auf die Söhne des Zebedäus anwandte (vgl. Mk 3,17) und der später nicht mehr gebraucht wurde, so hat er nie einem Jünger einen neuen Namen gegeben. Bei Simon hingegen hat er das getan, als er ihn »Kephas« nannte. Dieser Name wurde dann im Griechischen zu »Petros«, im Lateinischen zu »Petrus«. Und er wurde eben deshalb übersetzt, weil es sich nicht bloß um einen Namen handelte; es war ein »Auftrag«, den Petrus auf diese Weise vom Herrn erhielt. Der neue Name »Petrus« kehrt in den Evangelien dann mehrmals wieder und ersetzt schließlich den ursprünglichen Namen Simon.

Diese Tatsache nimmt besondere Bedeutung an, wenn man bedenkt, daß im Alten Testament die Namensänderung im allgemeinen der Übertragung einer Sendung vorausging (vgl. Gen 17,5; 32,28ff.; usw.). Tatsächlich gibt es zahlreiche Hinweise auf den Willen Christi, Petrus eine besondere Stellung innerhalb des Apostelkollegiums zu geben: In Kafarnaum geht der Meister in das Haus des Petrus, um dort zu übernachten (vgl. Mk 1,29); als sich das Volk am Ufer des Sees Gennesaret um ihn drängt, wählt Jesus von den beiden dort liegenden Booten das Boot des Simon aus (vgl. Lk 5,3); wenn Jesus sich in besonderen Situationen nur von drei Jüngern begleiten läßt, wird Petrus stets als erster der Gruppe erwähnt: so bei der Auferweckung der Tochter des Jairus (vgl. Mk 5,37; Lk 8,51), bei der Verklärung (vgl. Mk 9,2; Mt 17,1; Lk 9,28) und schließlich während der Agonie im Garten Getsemani (vgl. Mk 14,33; Mt 26,37). Und weiter: An Petrus wenden sich die Steuereintreiber des Tempels, und der Meister zahlt nur für sich und für ihn (vgl. Mt 17,2427); dem Petrus wäscht Jesus beim Letzten Abendmahl als erstem die Füße (vgl. Joh 13,6), und nur für ihn betet er, damit sein Glaube nicht erlischt und er dann die anderen Jünger im Glauben stärken kann (vgl. Lk 22,3031).

Petrus selbst ist sich dieser besonderen Stellung auch bewußt: Er ist es, der oft auch im Namen der anderen spricht, und um die Erklärung eines schwierigen Gleichnisses bittet (vgl. Mt 15,15) oder nach dem genauen Sinn eines Gebotes fragt (Mt 18,21) oder die förmliche Zusage einer Belohnung erbittet (vgl. Mt 19,27). Insbesondere ist er es, der gewissen Situationen ihre Verlegenheit nimmt, indem er im Namen aller eingreift. Als Jesus beispielsweise wegen des Unverständnisses der Menge nach seiner Rede über das »Brot des Lebens« betrübt ist und fragt: »Wollt auch ihr weggehen?«, antwortet Petrus mit Entschiedenheit: »Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens« (vgl. Joh 6,6769). Ebenso deutlich ist das Glaubensbekenntnis, das er, wieder im Namen der Zwölf, bei Cäsarea Philippi ablegt. Auf die Frage Jesu: »Für wen haltet ihr mich?«, antwortet Petrus: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!« (Mt 16,1516). Als Erwiderung spricht Jesus daraufhin die feierliche Erklärung aus, die ein für allemal die Rolle des Petrus in der Kirche festlegt: »Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein« (Mt 16,1819). Die drei Metaphern, auf die Jesus zurückgreift, sind in sich sehr deutlich: Petrus wird der »Felsengrund« sein, auf dem das Gebäude der Kirche stehen wird; er wird die »Schlüssel« des Himmelreichs besitzen, um es für Menschen zu öffnen oder zu verschließen, so wie er es bei jedem für richtig hält; schließlich wird er »binden« und »lösen« können, in dem Sinne, daß er festlegen oder verbieten kann, was er für das Leben der Kirche, die die Kirche Christi ist und bleibt, als notwendig erachtet. Die Kirche ist immer die Kirche Christi und nicht die des Petrus. So wird in sehr anschaulichen Bildern das beschrieben, was in der späteren theologischen Reflexion mit dem Begriff »Jurisdiktionsprimat« bezeichnet werden wird.

Diese Vorrangstellung, die Jesus dem Petrus zuerkannt hat, begegnet uns auch nach der Auferstehung: Jesus beauftragt die Frauen, die Auferstehung dem Petrus gesondert von den anderen Aposteln zu verkündigen (vgl. Mk 16,7); zu ihm und zu Johannes läuft Maria von Magdala, um diesen mitzuteilen, daß der Stein vom Eingang des Grabes weggenommen ist (vgl. Joh 20,2), und Johannes wird ihm den Vortritt lassen, als die beiden vor dem leeren Grab angekommen sind (vgl. Joh 20,46); Petrus wird dann unter den Aposteln der erste Zeuge einer Erscheinung des Auferstandenen sein (vgl. Lk 24,34; 1 Kor 15,5). Seine Rolle, die deutlich unterstrichen wird (vgl. Joh 20,310), betont die Kontinuität zwischen der Vorrangstellung, die Petrus in der Gruppe der Apostel hatte, und der Vorrangstellung, die er, wie die Apostelgeschichte bezeugt, in der Gemeinde haben wird, die mit dem Ostergeschehen entstanden ist (vgl. Apg 1,1526; 2,1440; 3,1226; 4,812; 5,111.29; 8,1417; 10; usw.). Sein Verhalten wird als so entscheidend angesehen, daß es aufmerksam beobachtet wird und auch Kritik unterworfen ist (vgl. Apg 11,118: Gal 2,1114). Beim sogenannten Konzil von Jerusalem kommt Petrus eine Leitungsfunktion zu (vgl. Apg 15 und Gal 2,110), und eben weil er Zeuge des wahren Glaubens ist, wird auch Paulus in ihm in gewisser Weise den »Ersten« erkennen (vgl. 1 Kor 15,5; Gal 1,18; 2,7f.; usw.). Verschiedene auf Petrus bezogene Schlüsseltexte können auf den Kontext des Letzten Abendmahls zurückgeführt werden, in dem Christus dem Petrus den Auftrag gibt, seine Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,31f.). Das zeigt, daß die Kirche, die aus dem österlichen Gedächtnis entsteht, das in der Eucharistie gefeiert wird, in dem Petrus anvertrauten Amt eines ihrer grundlegenden Elemente besitzt.

Dieses Hineinstellen des Primats des Petrus in den Kontext des Letzten Abendmahls, in den Augenblick der Einsetzung der Eucharistie, des Pascha des Herrn, weist auch auf den letztendlichen Sinn dieses Primats hin: Petrus muß für alle Zeiten der Hüter der Gemeinschaft mit Christus sein; er muß zur Gemeinschaft mit Christus hinführen; er muß dafür Sorge tragen, daß das Netz nicht reißt und so die universale Gemeinschaft fortdauern kann. Nur gemeinsam können wir mit Christus sein, der der Herr aller Menschen ist. Bei Petrus liegt also die Verantwortung, mit der Liebe Christi die Gemeinschaft mit Christus zu gewährleisten, indem er zur Umsetzung dieser Liebe im täglichen Leben hinführt. Beten wir darum, daß der Primat des Petrus, der einfachen Menschen anvertraut worden ist, immer in diesem ursprünglichen, vom Herrn gewollten Sinn ausgeübt werden kann und so von den Brüdern, die noch nicht in voller Gemeinschaft mit uns stehen, immer mehr in seiner wahren Bedeutung erkannt werden kann.

Additional Info

  • Untertitel:

    Ansprache von Benedikt XVI. am 07.06.2006

  • Datum: Nein
  • Druck / PDF: Ja

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