Predigt von Pater George Elsbett LC am Dienstag, 3. November, bei der hl. Messe im Zentrum Johannes Paul II. im Gedenken an die Opfer des Terroranschlages in Wien: Es geht nicht um die äußere Reaktion, sondern um die Haltung, die jegliche äußerer Reaktion zugrunde liegt.
Segen, Zuversicht und Verantwortung: Diese drei Begriffe sind in meinen Gedanken zu den Tageslesungen aufgetaucht.
Die Idee des Segens kommt in der ersten Lesung (Phil 2,5-11): „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht.“ Wir sind wochentags im kirchlichen Lesejahr II, im Lesejahr I heißt es im Brief des Apostels Paulus an die Römer: „Segnet eure Verfolger, segnet sie, verflucht sie nicht“ (Röm 12,14). Und wenn wir denken, „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht“, dann sehen wir, dass er der Erste war, der das gemacht hat: „Segnet eure Verfolger, segnet sie, verflucht sie nicht.“ „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34), sagte er sogar zu den Menschen, die ihn gerade ans Kreuz gehängt hatten.
Die Entscheidung, was unsere Haltung im Augenblick sein sollte, muss immer wieder neu diese sein: „Segnet eure Verfolger, segnet sie, verflucht sie nicht.“ Unser Live-Chat bei der spontanen Anbetung nach dem Terroranschlag gestern Abend war ein bisschen crazy. Wenn man bei Google die Suchbegriffe Terroranschlag und Wien eingegeben hatte, wurde unsere Zentrums-Webseite mit dem Live-Chat als erstes vorgeschlagen, weil wir eben diese Anbetung begonnen hatten und diese offenbar eine der frühen Reaktionen war. Mit dem Resultat, dass wir Hunderte Kommentare aus aller Welt dazu bekamen, darunter auch Parolen, die gar nichts mit „Segnet eure Verfolger, segnet sie, verflucht sie nicht“ zu tun hatten. Nach einigen Stunden mussten wir dann die Kommentare abstellen.
Auch, wenn das Gefühl vielleicht etwas ganz anderes sagen würde – das Erste, was wir als Christen immer wieder neu machen müssen, ist: „Segnet eure Verfolger, segnet sie, verflucht sie nicht.“ Warum? Das stellt uns in einen geistigen Platz hinein, der uns hilft, einfach objektiver zu denken. Der uns hilft, aus dem Blick Gottes heraus zu handeln. Bevor wir also etwas anderes machen, bevor wir groß nachdenken: Okay, segnen! Segnen, bevor wir irgendetwas anderes tun. Ich denke, das ist eine sehr gesunde Geisteshaltung und das, was Jesus in einer solchen Situation tun würde.
Der zweite Gedanke ist die Zuversicht. Ich habe diesen Psalm kurz vor der Messe gesehen: „Deine Treue, Herr, preise ich in großer Gemeinde“ (Ps 22,26). Es ist ein Jubeln Gott gegenüber für seine Treue. Aber, dieser Psalm, es ist einer der längsten, beginnt mit dem Vers: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Ps 22,2). Das ist das, was Jesus am Kreuz ausgedrückt hat. Er konnte wahrscheinlich nicht den ganzen Psalm sagen, weil er am Kreuz erstickt ist, er musste sich an den Nägeln hochheben, um überhaupt atmen zu können. Deswegen hat er wahrscheinlich nur den ersten Vers gesagt, eigentlich beeindruckend, wenn man weiß, wie dieser Psalm endet: mit einem Loblied auf Gott. In der Mitte des Psalmes heißt es: „Sie haben mir Hände und Füße durchbohrt“ (Ps 22,17) und „Sie werfen das Los um mein Gewand“ (Ps 22,19). Es scheint, als würde der Psalmist am Fuß des Kreuzes stehen, 1.000 Jahre zuvor.
Jesus aber hatte sicherlich auch das Ende dieses Psalmes im Blick: „Deine Treue, Herr, preise ich in großer Gemeinde“ (Ps 22,26). „Meine Seele, sie lebt für ihn, mein Stamm wird ihm dienen. Vom Herrn wird man dem künftigen Geschlecht erzählen, seine Heilstat verkündet man dem kommenden Volk; denn er hat das Werk getan“ (Ps 22,30-32). Dies in einer ummöglichen Situation, wo vor dem Herrn selber alles nur Finsternis war. Dieses „Deine Treue, Herr, preise ich in großer Gemeinde“, also diese Zuversicht, dass Gott treu ist und dass er die Zügel der Geschichte nicht aus der Hand verloren hat.
Dann noch der dritte Gedanke, aus dem Evangelium (Lk 14,15-24): die Idee der Verantwortung.
Jene, die am vergangenen Wochenende bei einer BeFree- oder der Young-Professional-Messe im Zentrum waren oder meine Gedanken im Newsletter gelesen haben, werden sich an meinen Traum in der Nacht zum Donnerstag der Vorwoche erinnern. Ich träumte von einem Tornado, eigentlich fünf Tornados, die gleichzeitig auf uns zukamen. Das war krass. Und ich wollte diesen Tornado fotografieren anstatt wegzulaufen. Dann funktionierte aber mein Handy nicht, das Rebooten dauerte ewig lange, der Tornado kam immer näher. Kurz bevor das Nachbargebäude in die Luft gejagt worden wäre, wachte ich auf.
Ich dachte mir: Hm, was heißt das jetzt? Ich bin kein Traumdeuter und man sollte damit vorsichtig sein. Aber es ist trotzdem ein starkes Bild, gerade in Zeiten von Corona, dafür, was alles auf uns zukommt. Es geht um die inneren Tornados, die Verwüstung unseres Herzens, die vielleicht in dieser Zeit des Lockdowns passieren kann … Gerade durch diesen Anschlag in Wien ist dieses Bild nochmals ganz krass geworden.
Was war das Problem im heutigen Evangelium? Alle sind zum Festmahl eingeladen, aber keiner geht hin. Der eine hat fünf Ochsengespanne gekauft, der andere muss auf seinen Acker gehen, der nächste hat gerade geheiratet. Sie alle checkten es nicht, worum es ging. Wie ich, der mit seinem Handy versuchte, ein Bild von einem Tornado zu machen, anstatt wegzulaufen, zum anderen zu gehen und zu sagen: Hey, realisierst du nicht die Situation?
Vielleicht ist so ein Geschehen, ein Moment ein neuer Aufruf, das Leben ernst zu nehmen und auch unseren Glauben ernster zu nehmen, sich neu zu entscheiden für die Liebe – und eben nicht für den Hass. Dass man nicht Böses und Übles mit Bösem und Üblem vergelten will. Dass wir neu überlegen.
Jesus sagte zu den Leuten: „Jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms am Schiloach erschlagen wurden - meint ihr, dass sie größere Schuld auf sich geladen hatten als alle anderen Einwohner von Jerusalem? Nein, sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle ebenso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt“ (Lk 13,4-5).
Ein solcher Moment, ein solches Geschehen, ist immer wieder auch ein Aufruf zur Bekehrung, zur tiefen Bekehrung des Herzens, unser Leben ernst zu nehmen und verantwortlich mit unserem Ruf zur Hochzeit umzugehen.
Also, bitten wir füreinander! In dieser Stunde beten wir für diese Stadt, für die Menschen, die ihr Leben verloren haben, im Krankenhaus liegen und noch alle anderen Anliegen. Heute Vormittag hat mich ein Mann, der ein psychologische Praxis führt, angerufen und mir gesagt, dass er die ganze Nacht nach dem Anschlag durchgehend für traumatisierte Menschen da gewesen ist. Viele sind in großer Not. Auch für all diese Menschen wollen wir beten.
Und dafür, dass wir uns erstens selber immer wieder neu entscheiden, den Segen zu spenden. Dass wir, zweitens, immer wieder neu wissen: Gott ist treu, wir können zuversichtlich sein. Und dass wir, drittens, auch diesen Ruf zur Verantwortung hören.
Amen.