Dienstag, 28. Mai 2019

Mit den Menschen einen Weg gehen

Gedanken von P. George Elsbett LC über Kulturwandel, Werte und die Einbindung der Jugend in der Kirche

Junge Leute. Wie erreicht man sie? Wie werden sie für die Kirche begeistert? Welche Rolle spielen sie? Mittlerweile bin ich überzeugt: Junge Leute kommen und bleiben in einer Gemeinde wegen der Kultur, die dort gelebt wird. Deswegen hat für eine Gemeindeleitung das proaktive Gestalten der Kultur – nach dem Gebet – oberste Priorität. Die Kultur ist die stärkste Kraft des Wandels, aber auch des Nichtwandels. „Kultur frisst Strategie zum Frühstück“ (John Maxwell). Jegliche pastorale Planung und jegliches Bemühen sind zum Scheitern verurteilt, wenn man die Kulturfrage nicht in den Griff bekommt.  

„Das Problem der Kirche heute ist ein Problem der Kultur.“
(Michael White)

Eine Frage der Kultur und Werte

Eine Kultur kann extrem inspirieren und aufbauen, aber eben auch vergiften und zerstören. Jede Gruppe von Menschen, jede Organisation hat eine Kultur, auch wenn sie nie darüber nachgedacht hat. Es ist die Frage, wie man was macht, welche Atmosphäre vorherrscht. Die Kultur gestaltet sich Großteils aus den tatsächlich gelebten Werten. Nicht die Werte, die man gerne hätte, sondern die, die sich im täglichen Tun zeigen. Wenn du deine Kultur ändern willst, musst du die Werte ändern. Die Diskussion über Werte ist deswegen so extrem wichtig, weil von ihnen wirklich alles abhängt.

Woran wir arbeiten

P. George mit dem Team von Alpha im Zentrum Johannes Paul in WienP. George mit dem Team von Alpha im Zentrum Johannes Paul in WienWie man die Kultur in deinem eigenen Kontext prägen könnte, weiß ich nicht. Ich möchte aber kurz teilen, wie wir das hier im Zentrum Johannes Paul II. (Niederlassung der Legionäre Christi in Wien) anhand eines unseres Kernwertes versuchen. Es geht um den Wert der „Befähigung“ (wir nennen das auch „Empowerment“ oder „Ermächtigung“). Dieser Wert ist extrem wichtig für eine Kirche, die die „Millennials“ (geboren zwischen den frühen 1980er- und den späten 1990er-Jahren, Anm.) erreichen will. Wir gehen zuerst einmal von zwei Vorüberlegungen aus:

  1. Fokus auf den individuellen Menschen: Es geht uns um den Menschen, nicht um die Programme und Veranstaltungen. Die Vision besteht im Heranbilden missionarischer Jünger. Der Weg wird flexibel an Situationen und Personen angepasst – jedes Programm und jede Veranstaltung dem einzelnen auf seinem Weg der Jüngerschaft, nicht andersherum. 
  1. Kompliziertere und beschleunigte Prozesse in einer sich immer schneller verändernden Welt führen dazu, dass die Zukunft immer weniger planbar wird und Arbeit zunehmend ergebnisoffen bleiben muss, man erfindet sich unterwegs. In einem Gespräch erzählte mir ein Unternehmensberater der Diözese, dass es früher – vor 20 Jahren – im „Change Management“ darum ging, Klarheit über die Vision zu haben, dann klare Mittel einzusetzen, sodass man von A nach B kommt. Aber das funktioniert zunehmend nicht mehr. Sondern die Wege zum Ziel nehmen zu und zuweilen ist das Ziel selbst offen. Man erfindet sich sozusagen im Gehen.

Ein Beispiel dafür war bei uns letztes Jahr das Pausieren von „Theologie vom Fass“ (was uns schwergefallen ist, weil wir es hier in Wien begonnen haben). Aber wir haben gemerkt, dass es uns nicht mehr geholfen hat, auch wenn es mal unser größtes Projekt war. Wir beginnen immer wieder Dinge, probieren sie aus, verändern sie oder hören damit wieder auf.

Gruppenbild nach einer Messe in den canadischen Bergen während „Adventure&Faith“Gruppenbild nach einer Messe in den canadischen Bergen während „Adventure&Faith“Ein anderes Beispiel ist unser Programm „Adventure&Faith“, das zwar mit gewissen Prinzipien begonnen hat, aber bei dem bei weitem nicht alles klar war, wohin die Reise führen würde – und das sich auch weiterhin beim Gehen erfindet. Das heißt nicht, dass man ständig die Dinge über Bord werfen soll und alles nur beliebig ist. Aber es heißt sehr wohl, dass sehr viel Flexibilität gefragt ist, die vielleicht vor 50 Jahren ein Zeichen von Dysfunktionalität gewesen wäre.

Konkrete Auswirkungen

  1. Dass die Priester bzw. Gemeindeleiter ein Gefühl haben können, dass sie die Dinge nicht mehr ganz unter Kontrolle haben und nicht mehr so sicher sind, wohin die Reise führt. Und das ist gut so. „Die Zeit ist wichtiger als der Raum“, würde Papst Franziskus sagen. Es geht darum, Prozesse in Gang zu bringen, die über längere Zeit hinweg zu einem Lebenswandel bei den Menschen führen. Es ist leicht, Räume zu schaffen, in denen wir uns sicher fühlen. Die Gefahr bei „sicheren Räumen“ ist aber, dass man nicht mehr für Veränderung offen ist und alles schnell „Schnee von gestern“ sein kann.
  1. Das ist ein wenig chaotisch. Es ist viel einfacher Programme zu erstellen, Aktivitäten zu organisieren, Regeln des christlichen Benehmens einzufordern usw. –  durch das alles nehmen wir aber letztlich nicht wirklich „den Geruch der Schafe“ an und sind nicht Wegbereiter und Begleiter für den Einbruch und Durchbruch des Heiligen Geistes im Leben des Nächsten. Bitte nicht falsch verstehen: Jesus Christus lädt uns nicht zur Mittelmäßigkeit ein, sondern zur Heiligkeit. Aber Heiligkeit kann ich nicht verordnen. Ich kann nicht Leute auffordern, sie sollen gefälligst einfach das tun, was ich ihnen sage. Ich muss einen Weg mit ihnen gehen.
  1. Was uns Klarheit geben muss und ein Kriterium der Unterscheidung ist, ist die Vision/Mission, die Gott uns geschenkt hat. In unserem Fall heißt das: Menschen in Gemeinschaft mit Jesus Christus und untereinander hineinführen, sie ausbilden und schließlich wieder als Apostel in die Welt hinaussenden. Wir wollen sicherstellen, dass sich deren Jüngerschaft gesund entwickelt durch ein ausbalanciertes Leben von fünf Elementen, die wir in Apostelgeschichte 2 vorfinden:

a) Gemeinschaft mit Gott („sie brachen das Brot“, „sie verharrten im Gebet“),

b) Gemeinschaft untereinander („sie hatten alles gemeinsam“),

d) ganzheitliche Vertiefung im Glauben („sie verharrten in der Lehre der Apostel“),

e) Dienst am Nächsten („sie gaben jedem, was er braucht“) und

f) Evangelisation („ihrer Zahl wurden 3.000 Menschen hinzugefügt“).

Sonst: Flexibilität.

Was daraus folgt

Im Gespräch mit den Teilnehmern an „Adventure&Faith“ in CanadaIm Gespräch mit den Teilnehmern an „Adventure&Faith“ in CanadaDas zieht Konsequenzen nach sich – auf die Art und Weise, wie wir unsere Kultur in Bezug auf diesen Wert „Ermächtigung/Befähigung“ prägen wollen:

  1. Dienende Leiterschaft. Die Rolle der Leitung besteht vor allem darin, Konditionen / Bedingungen zu schaffen, in denen die Menschen „gedeihen“ und sich entwickeln können. Außerdem wollen wir Prinzipien vermitteln (Kernwerte, die unsere Kultur als Organisation prägen), die verinnerlicht werden und die Basis schaffen, dass Menschen selbst entscheiden und sich nach der Vision ausrichten können (anstatt starke Regeln und Strukturen aufstellen, die vielleicht zu äußerer Zustimmung, aber nicht zu einem veränderten Leben führen). Die Leitung hat vor allem eine dienende Funktion. „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen“ (Mk 10,45). 
  1. Geh mit dem WARUM voran und erst dann mit dem WIE und dann mit dem WAS. Hinführen zu Eigenverantwortung. Das Ziel ist das Ziel. Die Mittel dorthin werden notwendigerweise von Person zu Person variieren. Tun lassen. Vertrauen schenken und auch machen lassen.

Als ich vor kurzem einen 19-Jährigen fragte, warum er glaube, dass junge Leute hier ins Zentrum kämen, meinte er: „Sie kommen wegen der Wohnzimmeratmosphäre, aber sie bleiben, weil sie befähigt werden, sich einbringen können, ihre Eigeninitiative einbringen können.“ Es geht um Empowerment, Befähigung. Vermeidung von Micromanagement und Klerikalisierung, wo der Priester alles selbst entscheidet. „Ersetze dich“, das heißt, arbeite so, dass du versuchst, ständig in jemanden zu investieren.

Hier ein paar Gedanken, die ich von Leuten wie Craig Groeschel aufgeschnappt habe und von denen ich inzwischen sehr überzeugt bin: Die meisten Leiter sind darauf fixiert, die richtige Strategie zu finden. Die besten Leiter sind davon „besessen“, die Menschen zu befähigen. Die meisten Leiter delegieren Aufgaben, die Besten delegieren Verantwortung. Wenn du Aufgaben delegierst, kreierst du Roboter, wenn du Verantwortung delegierst, kreierst du Leiter. Du kannst entweder Kontrolle oder Wachstum haben. Aber beides geht nicht. Schütze die Werte, aber lass die Kontrolle los. Ich glaube, das ist extrem wichtig, besonders, wenn man mit jungen Menschen arbeitet. Man muss ihnen Vertrauen schenken und Dinge zutrauen, sie machen lassen, sie inspirieren, ihnen zeigen, wozu sie mit Gottes Gnade fähig sind.

  1. Missionarische Mystik und nicht nur Askese – die Idee stammt von Papst Franziskus. Die Askese allein tendiert dazu, sichere Räume zu schaffen, alles schon vorher programmieren und festlegen zu wollen. Wenn aber die Askese nicht der Mystik dient, dann führt sie dazu, jede Bewegung des Geistes auszulöschen, weil es nicht die Gelegenheit gibt, in der jetzigen Situation zu unterscheiden, wo Gott seine Wellen baut und welche ich/wir jetzt zu surfen habe/n, sondern eher Gott vorschreibt, wo er seine Wellen zu bauen hat. Das heißt:
  1. Maximum an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, was die Mission selbst angeht. Also nicht: Ich will, dass du mir hilfst mein Projekt zu machen, sondern ich will dir helfen zu entdecken, was Gott von dir will und werde dich mit allem, was ich habe und kann, dabei unterstützen, dass Gottes Vision für dein Leben umgesetzt werden kann. Hier im Zentrum hat sich viel geändert, als wir aufgehört haben, alles selbst vorzugeben, worin die Laien uns helfen könnten, und eher andersherum gedacht haben. „Lead with the vision“, nicht mit einem schon in allem festgelegten Programm.

  1. Es muss uns Priestern vor allem um Beziehung gehen. Natürlich steht an erster Stelle unsere eigene Beziehung zu Gott, aber dann untereinander und mit den Leuten. Wir müssen Experten für Beziehung sein. Wirkliche Liebe für den Nächsten, ihm zu helfen, die beste Version seiner selbst zu werden (Heiligkeit), seine Gaben/Talente usw. zu entdecken.

Die eigene Kultur proaktiv zu gestalten ist keine leichte Aufgabe. Für uns ist es auch heute noch ein ständiger Prozess des Lernens. Ich möchte um euer Gebet bitten, dass wir die jungen Menschen, die hierherkommen, befähigen können, immer mehr das zu werden, was der Herr sich vorgestellt hat, als er sie geschaffen hat.

 

P. George Elsbett LC

Additional Info

  • Untertitel:

    Gedanken von P. George Elsbett LC über Kulturwandel, Werte und die Einbindung der Jugend in der Kirche

  • Datum: Ja
  • Druck / PDF: Ja
  • Region: Österreich

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