Donnerstag, 1. März 2007

4. Frage: Christliches Verständnis von Leiden

Francesco Annesi: Diözese Rom, 5. Studienjahr (3. Jahr Theologie)

4. Eure Heiligkeit, aus dem Apostolischen Schreiben Salvifici doloris von Johannes Paul II. geht klar hervor, wie sehr das Leiden für alle jene, die es in Verbundenheit mit den Leiden Christi annehmen, Quelle geistlichen Reichtums ist. Wie kann heute, in einer Welt, die nach jedem erlaubten oder unerlaubten Mittel sucht, um jegliche Art von Schmerz zu beseitigen, der Priester Zeuge des christlichen Verständnisses des Leidens sein und wie soll er sich dem Leidenden gegenüber verhalten, ohne Gefahr zu laufen, rhetorisch oder pathetisch zu sein?

Benedikt XVI.: Ja, wie soll man handeln? Nun, mir scheint, wir müssen anerkennen, daß es richtig ist, alles nur Mögliche zu tun, um die Leiden der Menschheit zu besiegen und den leidenden Menschen es gibt sehr viele auf der Welt zu helfen, ein erträgliches Leben zu finden und von den Übeln befreit zu werden, die häufig wir selber verursachen: Hunger, Seuchen usw.

Aber gleichzeitig mit der Anerkennung dieser Pflicht, gegen die von uns selbst verursachten Leiden tätig zu werden, müssen wir auch erkennen und verstehen, daß das Leiden wesentlich zu unserem menschlichen Heranreifen gehört. Ich denke hier an das Gleichnis des Herrn vom Weizenkorn, das in die Erde gefallen ist und das nur dadurch, daß es stirbt, Frucht bringen kann, und dieses In-die-Erde-Fallen und Sterben ist nicht ein Augenblicksereignis, sondern eben der Verlauf eines ganzen Lebens.

Wie ein Weizenkorn in die Erde fallen und somit sterben, sich verwandeln, Werkzeug Gottes sein und so Frucht bringen. Der Herr sagt nicht zufällig zu seinen Jüngern: Der Menschensohn muß nach Jerusalem gehen, um zu leiden; wer mein Jünger sein will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Tatsächlich verhalten wir uns immer ein wenig wie Petrus, der zum Herrn sagt: Nein Herr, das darf nicht mit dir geschehen, du darfst nicht leiden. Wir wollen nicht das Kreuz tragen, wir wollen ein menschlicheres, schöneres Reich auf Erden schaffen.

Damit liegen wir vollkommen falsch: Das lehrt uns der Herr. Aber Petrus brauchte viel Zeit, vielleicht sein ganzes Leben, um das zu begreifen. Darum enthält die Quo vadis?-Legende etwas Wahres: Lernen, daß im Gehen mit dem Kreuz Christi der Weg besteht, der Frucht bringt. Daher würde ich sagen: Bevor wir zu den anderen darüber reden, müssen wir selber das Geheimnis des Kreuzes verstehen.

Sicher schenkt uns das Christentum die Freude, weil die Liebe Freude schenkt. Aber die Liebe ist immer auch ein Prozeß des Sich-Verlierens und daher auch ein Prozeß des Sich-Entfernens von sich selbst, in diesem Sinn auch ein schmerzvoller Prozeß. Und nur so ist er schön und läßt uns reifen und zur wahren Freude gelangen. Wer ein ausschließlich unbekümmertes und bequemes Leben geltend macht oder verspricht, lügt, weil das nicht die Wahrheit vom Menschen ist; die Konsequenz ist dann, daß man in falsche Paradiese flüchten muß. So aber gelangt man nicht zur Freude, sondern zur Selbstzerstörung.

Das Christentum verkündet uns die Freude, gewiß. Doch diese Freude wächst allein auf dem Weg der Liebe, und dieser Weg der Liebe hat etwas mit dem Kreuz, mit der Gemeinschaft mit dem gekreuzigten Christus zu tun. Und er wird versinnbildlicht durch das Weizenkorn, das in die Erde gefallen ist. Wenn wir beginnen, das zu begreifen und jeden Tag anzunehmen, weil uns jeder Tag irgendeine Unzufriedenheit auferlegt, irgendeine Last, die auch Schmerz verursacht, wenn wir diese Schule der Nachfolge Christi annehmen, wie die Apostel in dieser Schule lernen mußten, dann werden wir auch dazu fähig, den Leidenden zu helfen.

Es ist sicher immer problematisch, wenn einer, der über eine mehr oder weniger gute Gesundheit verfügt oder in guten Verhältnissen lebt, einen anderen trösten soll, der von großem Übel betroffen ist: sei es Krankheit, sei es Liebesverlust. Angesichts dieser Übel, die wir alle kennen, erscheint alles fast unvermeidlich nur rhetorisch und pathetisch. Aber ich würde sagen: Wenn diese Menschen spüren können, daß wir Mitleidende sind, daß wir mit ihnen das Kreuz in Gemeinschaft mit Christus tragen wollen, indem wir vor allem mit ihnen beten, ihnen auch mit einem von Sympathie, von Liebe erfüllten Schweigen beistehen, ihnen helfen, soweit es uns möglich ist, dann können wir glaubwürdig werden.

Wir müssen es akzeptieren, daß vielleicht in einem ersten Augenblick unsere Worte nur als bloße Worte erscheinen mögen. Wenn wir aber wirklich in diesem Geist der wahren Nachfolge Jesu leben, finden wir auch die Möglichkeit, anderen mit unserer Sympathie nahe zu sein. Sympathie heißt etymologisch Mit-leiden für den Menschen, indem man ihm hilft, mit ihm betet und auf diese Weise das Vertrauen erzeugt, daß auch im finstersten Tal die Güte des Herrn vorhanden ist.

So können wir das Herz öffnen für das Evangelium Christi selbst, der der wahre Tröster ist; das Herz öffnen für den Heiligen Geist, der der andere Tröster, der andere Beistand genannt wird, der beisteht, der gegenwärtig ist. Wir können das Herz nicht durch unsere Worte öffnen, sondern durch die große Lehre Christi, durch sein Bei-uns-Sein, und so helfen, daß das Leiden und der Schmerz tatsächlich zur Gnade des Reifens, der Gemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn werden.

Additional Info

  • Untertitel:

    Francesco Annesi: Diözese Rom, 5. Studienjahr (3. Jahr Theologie)

  • Datum: Nein
  • Druck / PDF: Ja

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