„I’m a slave to nothing but my ambition.“ – dieser Songtext von Machine Gun Kelly drückt das aus, was viele von uns in der stumpfen Hektik des Alltags empfinden. Es ist der Soundtrack unserer inneren Antreiber, der unaufhörlich in Dauerschleife läuft. Ein Ohrwurm, den niemand bestellt hat, aber jeder kennt. Die Lyrics? „Streng dich an! Sei perfekt! Sei die beste Version deiner selbst!“
Das Problem ist, dass wir nicht nur brav zuhören, sondern sogar eifrig im Takt mitlaufen – wie in einem nie endenden Hamsterrad. Unser unsichtbarer Sklaventreiber peitscht uns an: „Das war noch nicht genug! Push it!“ Und so oszilliert unser Leben zwischen dem Drang wahnhafter Selbstoptimierung und der Sehnsucht, endlich anzukommen.
Doch was wäre, wenn dieses Hamsterrad plötzlich stehen bliebe? Wenn der nervtötende Ohrwurm verstummte und an seiner Stelle eine völlig andere Stimme hörbar würde – leise, aber voller Kraft? Eine Stimme, die nicht antreibt, sondern befreit. Eine Stimme, die sagt: „Du bist mein geliebtes Kind. Nicht, aufgrund deiner performance, sondern schlicht und einfach weil ich dir dein Sein schenke.“
Das ist kein verträumtes Wunschdenken und auch keine Kalenderspruch-Motivationsrhetorik, sondern die radikale Wahrheit der christlichen Botschaft – des Evangeliums. Doch bevor wir uns auf Wolke sieben verirren: Was bedeutet das überhaupt? Und warum fühlt sich unser Leben oft ganz anders an? Willkommen zu einer Wahrheit, die alles verändern kann: wir heißen Kinder Gottes und sind es tatsächlich.
Identität: Sein vs. Tun
Von klein auf hat uns die Welt beigebracht, dass unser Wert von Leistung abhängt. Gute Noten, sportlicher Erfolg, ein perfekter Instagram-Feed – nur wer liefert, wird geliebt. Doch der Glaube daran, dass wir Gottes Kinder sind, stellt dieses Denken auf den Kopf. Deine Identität kommt nicht vom Tun, sondern vom Sein. „Identity is received, not achieved.“ Du musst nichts erreichen, um geliebt zu werden. Du bist geliebt, weil du bist – Punkt.
Das bedeutet: In der Taufe, wo Gott dich sein Kind nennt, wird Identität nicht verhandelt, sondern geschenkt. So wie Jesus bei seiner Taufe die Worte hört: „Du bist mein geliebter Sohn,“ spricht der Vater auch zu dir, wenn du auf dem Namen des Dreifaltigen Gottes getauft wurdest. Diese Identität bleibt bestehen, unabhängig von deinen Leistungen oder Fehlern. Sogar unabhängig davon, ob du dich an den Moment deiner Taufe noch erinnern kannst, oder nur ein vergilbtes Foto dich daran erinnert. Unsere Identität wird uns von Gott unwiderruflich zugesprochen. Kein Erfolg kann sie steigern, keine Niederlage kann sie mindern.
Wissen vs. Leben
Theoretisch klingt das wunderbar, aber praktisch? Wer von uns wacht morgens auf, schaut in den Spiegel und denkt: „Da ist es ja, das geliebte Kind Gottes!“ Stattdessen hören wir eher das innere Mantra: „Wie siehst du denn schon wieder aus. Reiß dich gefälligst zusammen!“
Die lügenbasierte Leistungsmentalität die uns immer wieder subtil von unseren inneren Antreibern ins Ohr souffliert wird, führt uns ständig auf den Holzweg: Wir verwechseln unser Tun und Haben mit unserem Sein. „Hast du was, dann bist du was.“ So bauen wir unser Selbstbild auf Besitz, Erfolg und Anerkennung. Wenn diese dann ausbleiben, fühlen wir uns wertlos. Aber Gott sagt: „Deine Identität kommt vom Sein, nicht vom Tun.“
Statt uns in der Freiheit der Gotteskindschaft zu bewegen, kämpfen wir wie der ältere Bruder im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15) um Anerkennung: „Ich habe alles richtig gemacht, wo bleibt mein Fest?“ Und so leben wir eher als überforderte Angestellte Gottes denn als geliebte Kinder.
Das Gotteskind vs. das innere Kind
In jedem von uns lebt ein Konflikt – ein innerer Kampf zwischen dem Gotteskind, das wir durch die Taufe sind, und dem verletzten inneren Kind, das aus unseren tiefsten Wunden spricht. Das Gotteskind weiß: „Ich bin geliebt, ich bin gewollt, ich bin genug.“ Aber das innere Kind rebelliert und ruft: „Ich muss mehr leisten. Ich muss mich beweisen. Ich muss besser sein als die anderen.“
Dieser Konflikt bringt uns oft in Schwierigkeiten. Statt im Sein zu ruhen, verfallen wir ins Tun. Wir lassen uns von der Illusion treiben, dass unser Wert davon abhängt, wie viel wir erreichen, wie gut wir aussehen oder wie sehr wir den Erwartungen anderer entsprechen. Das verletzte innere Kind wird in solchen Momenten zum Elefanten im Porzellanladen: Es reißt uns aus der Ruhe und hinterlässt dabei nicht nur in uns selbst, sondern auch in unseren Beziehungen einen Scherbenhaufen.
Wie Wunden uns antreiben und Kompensationsmechanismen uns täuschen
Jeder Mensch hat psychische Grundbedürfnisse – Autonomie, Bindung, Selbstwert und Freude. Wenn diese Bedürfnisse gestillt sind, schaffen sie Stabilität, innere Ruhe und das Fundament für ein gesundes Leben. Aber was passiert, wenn sie unerfüllt bleiben? Dann entsteht ein inneres Vakuum – eine Leere, die sich nicht ignorieren lässt. Oft versuchen wir, dieses Vakuum auszufüllen, aber mit den falschen Mitteln: Kompensationsmechanismen.
Das innere Vakuum: Wunden aus der Kindheit
Dieses innere Vakuum geht häufig auf Wunden zurück, die wir uns im Laufe unserer Kindheit zugezogen haben. Wenn wir damals nicht die Sicherheit, Nähe oder Anerkennung bekommen haben, die wir gebraucht hätten, hat unser inneres Kind begonnen, sich Schutzstrategien anzueignen – trügerische Überzeugungen wie: „Ich muss stark sein, sonst werde ich verlassen,“ oder „Nur wenn ich fehlerlos bin, bin ich wertvoll.“
Diese Wunden können auch durch einen erfahrenen Mangel entstanden sein. Als Erwachsene können wir die inneren Spuren dieser Kindheitserfahrungen immer noch spüren, auch wenn wir die Ursache längst vergessen haben. Anstatt diese innere Wunde jedoch freizulegen, versuchen wir sie mit äußeren Dingen zu betäuben. Doch diese Strategien greifen zu kurz.
Verbundenheit vs. das Vakuum der Einsamkeit
Stell dir vor, ein Kind wächst in einem emotional kühlen Umfeld auf. Es erfährt selten echte Nähe oder Wärme, sondern lernt: „Ich bin nur liebenswert, wenn ich alles richtig mache.“ Diese Erfahrung hinterlässt eine Wunde – ein Vakuum im Bereich der Bindung. Als Erwachsene sucht diese Person verzweifelt nach Anerkennung, klammert sich an Beziehungen oder versucht, durch Anpassung und Gefälligkeit gemocht zu werden. Doch egal, wie viel Bestätigung sie bekommt, die Leere bleibt.
Kompensationsmechanismen: Pflaster statt Heilung
Wenn unsere Grundbedürfnisse unerfüllt bleiben, suchen wir nach Wegen, das Vakuum zu füllen. Diese Kompensationsmechanismen fühlen sich wie Lösungen an, sind aber bestenfalls Pflaster auf einer offenen Wunde. Sie führen uns oft in einen Teufelskreis, weil sie das eigentliche Problem nicht lösen. Hier ein Blick auf die vier Grundbedürfnisse und ihre typischen Kompensationsversuche:
- Autonomie
Ohne Sicherheit und Kontrolle fühlen wir uns ausgeliefert. Die Kompensation? Zwanghaftes Kontrollieren, Perfektionismus oder der Drang, alles im Griff haben zu müssen. Doch je mehr wir versuchen, alles zu beherrschen, desto größer wird unser Stress. - Bindung
Fehlende Nähe führt zu Einsamkeit. Die Kompensation? Übermäßige Anpassung, Abhängigkeit von Beziehungen oder der unersättliche Wunsch nach Anerkennung. Doch keine Freundschaft und kein „Du bist toll!“ kann die Leere füllen, die tief innen sitzt. - Selbstwert
Ohne das Gefühl von Kompetenz und Wert rutschen wir in Selbstzweifel. Die Kompensation? Überarbeit, Selbstoptimierung oder der ständige Versuch, zu beweisen, dass wir gut genug sind. Doch kein Erfolg reicht aus, um uns wirklich zu beruhigen. - Freude
Ohne Freude und Leichtigkeit fehlt uns der innere Anker. Die Kompensation? Ablenkung durch Konsum, Medien oder Vergnügen. Doch nach jedem „Kick“ kommt das Vakuum zurück – stärker als zuvor.
Verletzte Menschen verletzen Menschen
Diese Wunden wirken nicht nur in uns, sie greifen auch auf unser Umfeld über. Verletzte Menschen verletzen Menschen (hurt people hurt people). Denn was unverarbeitet bleibt, wird weitergegeben. Entweder du verwandelst deine Wunden, oder du verbreitest sie (you either transform it, or you transmit it). Ohne Heilung schleppen wir unser Kompensationsverhalten in unsere Beziehungen, in unsere Arbeit, in jede Ecke unseres Lebens.
Doch das Vakuum kann nicht durch äußere Dinge ausgefüllt werden. Es braucht Heilung von innen – eine Transformation, die tiefer geht als alle Kompensation. Und genau hier kommt Gott ins Spiel.
Gott begegnet uns im Vakuum
Inmitten des Vakuums, dort, wo unsere Wunden am lautesten schreien, begegnet uns Gott. Er sieht die Leere, die wir zu füllen versuchen, und spricht in sie hinein: „Du bist mein geliebtes Kind. Du musst nichts beweisen. Ich heile dich.“
Gott nimmt das innere Vakuum nicht einfach weg – er verwandelt es. Er zeigt uns, dass unsere Wunden uns nicht definieren. Durch seine Liebe führt er uns zurück in unsere gottgegebene Identität, in der wir nicht mehr getrieben sind von Kompensation, sondern getragen von seiner Zusage: „Du bist genug.“
Und genau hier beginnt der Weg aus dem Teufelskreis: Heilung statt Pflaster, Transformation statt Kompensation, Frieden statt Kampf.
Die göttliche Liebe transformiert, was die Welt verletzt hat. Sie führt uns auf einen Weg der Heilung, indem sie uns zurück zu unserer wahren Identität bringt. Die Tatsache, dass wir Kinder Gottes sind gibt uns nicht nur die Gewissheit, dass wir geliebt bist, sondern auch die Freiheit, unser verletztes inneres Kind nicht mehr das Steuer unseres Lebens übernehmen zu lassen. So wird aus dem rebellischen Elefanten im Porzellanladen ein geliebtes Kind, das nicht zerstört, sondern aufbaut – in sich selbst und in den Menschen um sich herum.
Gott führt uns durch unsere Wunden hindurch und zeigt uns: Du bist nicht das, was dir fehlt. Du bist das, was er in dich gelegt hat. Und genau darin liegt die Heilung, die wir so dringend brauchen: „Du bist mein geliebtes Kind.“
Ganzheitliche Heilung: Körper, Seele, Geist
Die Gotteskindschaft ist keine Flucht in den Himmel, sondern eine umfassende Transformation, die bei der Basis beginnt. Gott nimmt deine Menschlichkeit ernst – deine Bedürfnisse, deine Sehnsucht, selbst deine Wunden.
Wenn du diese Identität annimmst, passiert etwas Wunderbares:
• Dein Bedürfnis nach Kontrolle verwandelt sich in Freiheit in Gott.
• Deine Suche nach Bindung wird in seiner Liebe gestillt.
• Dein Selbstwert wird durch seine Zusage gestärkt.
• Deine Freude wird in der Gemeinschaft mit ihm vollkommen.
So wird Gotteskindschaft zur Heilung, die die Natur durchdringt und von innen heraus erneuert.
Fazit: Gotteskindschaft leben
Die Gotteskindschaft ist die Antwort auf unsere tiefsten Fragen nach Wert und Identität. Sie beginnt dort, wo wir uns oft am verletzlichsten fühlen. „Du bist mein geliebtes Kind.“ Das ist keine Theorie, sondern eine Realität, die unser Leben verändern will.
Doch diese Wahrheit vom Kopf ins Herz zu bringen, braucht Zeit. Sie erfordert Geduld und kontinuierliches Einüben. Die alten Muster – die Masken, die Anstrengungen, die leistungsbasierte Mentalität – verschwinden nicht über Nacht. Es ist ein Prozess, die unerschütterliche Wahrheit zu verinnerlichen: Du bist geliebt. Du bist genug. Deine Identität ist ein Geschenk, nicht etwas, das du dir verdienen musst.
Eine Übung auf diesem Weg könnte sein, sich täglich fünf Minuten unter den liebevollen Blick des Vaters zu stellen. Schließe die Augen, höre seine Stimme, die dir sagt: „Du bist mein geliebtes Kind.“ Lasse seinen Blick der Liebe auf dir ruhen, ohne etwas leisten oder beweisen zu müssen. Es braucht Zeit, bis diese Realität nicht nur geistlich, sondern auch emotional durchdrungen wird – bis sie einen echten Durchbruch in deinem Leben bewirkt.
Aber wenn wir diesen Weg gehen, verändert das alles: wie wir beten, wie wir leben, wie wir uns selbst sehen. Es ist keine Flucht aus der Realität, sondern die Einladung, sie mit neuen Augen zu sehen. Die Revolution der Gotteskindschaft beginnt hier und jetzt – im Hier und Heute, in diesen kleinen Momenten der Begegnung mit der Liebe Gottes. Willkommen in der Freiheit: „Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Wohlgefallen.“
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P. Georg Rota LC lebt im Zentrum Johannes Paul II. der Legionäre Christi in Wien und leitet dort das Pastoralteam. Sein Beitrag ist in der Ausgabe 1/2025 (Februar) des You! – Magazin erschienen.