Freitag, 1. Februar 2019

Anpacken! Es versuchen! Größer denken!

Matthias Weber aus Deutschland schildert in seinem Bericht von einer Reise des Regnum Christi nach Mexiko nicht nur Erlebtes, sondern hinterfragt es und sucht nach Antworten.

„Liebe Freunde“, so beginnt Matthias Weber seinen Bericht von einer Reise nach Mexiko im Januar dieses Jahres. Am 14. Januar war er mit anderen 22 Jugendlichen des Regnum Christi aus Deutschland nach Mittelamerika aufgebrochen, um Menschen und Kultur, Religion, Gesellschaft und Geschichte dieses Landes näher, aus erster Nähe, selbst und unmittelbar kennenzulernen.

Matthias kommt aus Bonn, ist 26 Jahre jung und Arzt. – „Verändert man ein korruptes und ungerechtes System eher ‚von unten‘ … oder ist eine Veränderung ‚von oben‘ sinnvoller?“ In seinem Bericht schildert er nicht nur Erlebtes, sondern hinterfragt es, setzt es in Bezug zu seinem bisherigen Wissen und Denken über Mexiko, sucht nach Antworten auf seine Fragen und Schlussfolgerungen für den Alltag in Deutschland. Lesen Sie selbst:

Ich möchte von unserer Fahrt nach Mexiko, und somit auch zu den Ursprüngen des Regnum Christi, berichten. Wir haben viel erlebt und wollen unsere Erfahrungen mit anderen teilen.

Unsere erste Station war Mexiko-Stadt. Wir trafen unsere Gastfamilien, welche uns wie ihre eigenen Kinder aufnahmen. ‚Mi casa es su casa!‘. Dieser Satz wird hier in der Tat wörtlich genommen. Das morgendliche Frühstück mexikanischer Art wurde zur Wonne und Herausforderung zugleich, da sowohl Qualität als auch Quantität im wahrsten Sinne des Wortes überwältigend waren. Das mexikanische Volk ist sehr gastfreundlich. Die mexikanische Mentalität, die weniger auf die Defizite sieht, sondern das Potential einer Idee hervorhebt, war für uns sehr inspirierend.

Mit über 20 Millionen Einwohnern machte diese Stadt einen im wahrsten Sinne des Wortes überwältigenden Eindruck: Hier leben die Menschen dicht gedrängt, einige sehr arm, andere sehr reich. Wir gingen durch Slum-artige Stadtbezirke, lebten jedoch selbst in „gated communities“, bei Familien mit offensichtlichem Wohlstand. Und inmitten dieser für uns spürbar gewordenen Ungleichheit, dieser chaotischen Stadt, diesem korrupten Staat, wirkt das Regnum Christi.

Wir benötigten letztlich den gesamten Zeitraum unseres Aufenthalts in Mexiko-Stadt, um die Zustände im Land und damit auch die Arbeitsweise des Regnum Christi zu verstehen: Verändert man ein korruptes und ungerechtes System eher ‚von unten‘, durch Arbeit mit den Armen? Oder ist eine Veränderung ‚von oben‘, durch Ausbildung von Menschen der Oberschicht, sinnvoller? Hierüber entbrannten unter uns lange und hitzige Diskussionen, die aber sehr fruchtbar waren. Unser kollektives Grundempfinden favorisierte zunächst die erste Variante. Jedoch mussten wir bald einsehen, dass wir dieser unsere deutschen Umstände zugrunde legten.

Über die Zeit verstanden wir, dass eine reine ‚Symptombehandlung‘, in Form der Linderung von Armut, nicht an die Wurzeln des Problems heranreichen würde. Die Ausbildung von Entscheidungsträgern muss ebenfalls geschehen. Letzteres bewirken die Legionäre Christi und das Regnum Christi durch Privatschulen und eine namhafte Universität.

Eine Linderung unseres allzu deutschen, moralischen Zwiespaltes verschaffte jedoch, dass mit den Geldern aus den Privatschulen, hochwertige Schulen in Armenvierteln gebaut werden. Den Besuch einer solchen genossen wir besonders: Die Kinder waren uns offensichtlich Fremden sehr aufgeschlossen und nahmen direkt Kontakt zu uns auf. Die Direktorin dieser Schule, welche selbst ein Regnum-Christi-Mitglied ist, führte uns über das Gelände. Man merkte, dass sie mit Leib und Seele voll für ihre Schüler da ist. Die Wertschätzung jedes einzelnen und die volle Aufmerksamkeit, die jeder der Schüler vom Lehrpersonal bekam, hatten offensichtlich heilende Wirkung. Besonders war auch, dass die Schule bei dieser seelischen Förderung nicht stehen bleibt, sondern im zweiten Schritt von ihren Schülern auch einen Schritt zur Nächstenliebe erwartet: Es finden Sammelaktionen statt, in denen die Schüler Spielzeug schenken können, welches dann an noch ärmere Familien gegeben wird.

Diese zweigleisige Herangehensweise ist in meinen Augen sehr überzeugend: Veränderung von oben, Hilfe von unten. Damit wird man beiden Bevölkerungsgruppen gerecht.

In den knapp elf Tagen unserer Mexikoreise besuchten wir viele Apostolate und Sektionen des Regnum Christi in Mexiko. Trotz des strammen Programms legten wir besonderen Wert auf die tägliche hl. Messe und das Gebet. Mit zwei Priestern und einem Diakon waren wir 23 Laienteilnehmer in besten seelsorgerischen Händen. Jeder Tag wurde unter ein Leitthema gestellt: Eucharistie, Mission, Nächstenliebe usw. Damit bekamen die Tage in Mexiko auch eine besondere geistliche Ebene und die Erlebnisse wurden zu einem dynamischen, geistlichen Prozess, einer Pilgerreise.

Ein ganz besonderes Erlebnis war die Mission, die wir an einem Wochenende unternahmen: Mit einem Viehtransporter wurden wir in ein Dorf auf einem Berg gekarrt. Der Begriff ‚Dorf‘ ist hier nicht auf unser deutsches Vorbild zu übertragen: Es handelte sich um eine Ansammlung von weit auseinanderliegenden Holzhütten, welche durch Feldwege miteinander verbunden sind.

Wir besuchten die Menschen in ihren Hütten, sprachen mit ihnen über Gott und luden die Familien zum Gottesdienst ein. Angesichts der materiellen Armut dieser Menschen waren wir sprachlos: Holzhütten aus lose übereinander geschichteten Holzbrettern, mit Lücken durch die der Wind pfeift. Nachts liegen in dieser Jahreszeit die Temperaturen bei 4 bis 5 Grad. Es gibt Strom aber kein fließendes Wasser. Gekocht wird über dem offenen Feuer. Im Gegensatz zur materiellen Armut, entdeckten wir jedoch einen menschlichen, spirituellen Reichtum. Wir kamen mit jedem einzelnen ins Gespräch. Vertrauensvoll öffneten sie uns die Tür und boten uns oft gastfreundlich etwas zu Essen an. Der Glaube der Menschen war kindlich, die Herzen weit offen. Man stelle sich eine solche Mission einmal in Deutschland vor: Die Türen wären wohl – abgesehen von den Türen einiger alter, einsamer Damen – verschlossen geblieben.

Die Übertragung der besuchten Apostolate auf Deutschland fällt natürlich schwer. Hier haben wir andere Nöte und andere Fragen, denen wir begegnen müssen. Eine Essenz dieser Tage, welche wir mit nach Hause genommen haben, ist jedenfalls: Reichtum und Übermaß sättigen. Leider auch sozial und spirituell.

Am letzten Tag unserer Mexikoreise verarbeiteten wir alle unsere Erlebnisse in einem Einkehrtag. Wir hatten viel erlebt und brauchten eine Weile, um die gewisse Rastlosigkeit des Reisens hinter uns zulassen. Im Nachhinein haben wir noch oft über diesen Einkehrtag gesprochen: Den meisten hat er sehr geholfen. Wir hatten Zeit, uns noch einmal den Zweck unserer Reise vor Augen zu rufen. Wir waren auf einer Pilgerreise zum Weltjugendtag, auf dem Gott ganz besonders wirken kann. Spirituell gestärkt ging es also weiter zum Weltjugendtag nach Panama.

Die Medien haben in Deutschland ja nur spärlich davon berichtet, manche sogar geringe Teilnehmerzahlen beklagt. Eine Schlagzeile, die ich las, war: „Franziskus lässt vieles ungesagt“ (Tagesschau.de). Diese missmutige Sicht spielte aber für die zehntausenden Weltjugendtagsteilnehmer keine Rolle. Ich habe die Teilnehmer nicht gezählt. Die Angaben in den Medien schwanken zwischen knapp 80.000 und 300.000. Wichtig ist: Es waren viele! Und sie waren klasse!

Gut gelaunte, singende Menschenmassen strömten durch die Häuserschluchten der Stadt, grüßten sich gegenseitig mit Sprechgesängen, in denen sie die jeweils andere Nationalität bejubelten. Wir begegneten einer brasilianischen Gruppe, welche uns über die Straße zurief: „7 zu 1“, und mit zu dieser Anspielung auf den für die Brasilianer tief demütigenden Sieg der deutschen Nationalmannschaft am 8. Juli 2014 im WM-Halbfinale applaudierten und die Daumen hochstreckten. Bei solchen Menschen geht es meiner Meinung nach nicht um ein „paar mehr oder weniger“, damit das Entscheidende sichtbar wird. In Panama haben so viele Jugendliche aus aller Welt ein glaubwürdiges Zeugnis einer lebendigen, lebensfreudigen und lebensnahen Kirche gegeben. Darauf kam es an.

Ich bin dem Papst auch sehr dankbar, dass er vieles ungesagt ließ. Wir waren ja immerhin nicht auf einem Parteitag, auch wenn man in den Katechesen deutscher Jugendgruppen manchmal diesen Eindruck gewinnen konnte. Der Papst traf hier auf „seine“ Jugend, die ihre Zugehörigkeit und Treue fast durchgehend mit Sprechchören beteuerte. Statt über Dauerthemen wie Frauenpriestertum, Homo-Ehe und den Weltfrieden zu sprechen, rief der Papst uns einfach zu: „Ihr seid nicht die Zukunft, wie alle sagen. Ihr seid die Gegenwart.“ Damit übergab er uns jungen Leuten jetzt und hier eine Aufgabe, die Verantwortung mit sich bringt, und drückte außerdem eine große Wertschätzung für uns aus.

Es gibt einen weiteren Grund, warum es mich gefreut hat, dass der Papst „vieles ungesagt“ ließ. Ich war zu diesem Zeitpunkt sehr müde. Scherz beiseite. J Mit dieser humorvollen Anspielung will ich auch sagen, dass die Zeit auf dem Weltjugendtag sehr begrenzt war. Man verbringt die meiste Zeit auf der Straße und in den öffentlichen Verkehrsmitteln, um von A nach B zu kommen. Somit hatte der Papst auch nicht viel Zeit, um viel zu sagen. Die Momente, die er hatte, nutzte er dafür zur Zufriedenheit der Teilnehmer, die von ihm begeistert waren.

Und damit komme ich zum Ende. Kurz gesagt:

Das Regnum Christi ist groß. Wir Deutschen sind nur ein kleiner Teil des Ganzen. Wir haben in Deutschland andere Aufgaben als in Mexiko. Aber wir können uns an dem mexikanischen Geist ein Beispiel nehmen: Anpacken! Es versuchen! Größer denken!

Die Kirche ist groß. Wir Deutschen sind (Gott sei Dank!) nur ein kleiner Teil und nicht das Zentrum der Welt. Auch wenn die Kirche es mit unseren knausrigen und kritischen Geistern in unserem Land nicht immer leicht hat. Jenseits dieser selbst gesetzten kulturellen Grenzen blüht und lebt sie. Auch daran können wir uns ein Beispiel nehmen: Lebendigen Glauben leben. Nicht nur in der Kirchenbank, die wir Deutschen sonntäglich mit ernstem Blick beehren. Sondern auch im Alltag, auf der Straße.

Matthias Weber

 

 

Additional Info

  • Untertitel:

    Matthias Weber aus Deutschland schildert in seinem Bericht von einer Reise des Regnum Christi nach Mexiko nicht nur Erlebtes, sondern hinterfragt es und sucht nach Antworten.

  • Kategorie News : Aktuelles zum Thema Kinder und Jugend
  • Datum: Ja
  • Druck / PDF: Ja
  • Region: Deutschland

    

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.

feedback