Dienstag, 30. September 2014

Bis an die Ränder des menschlichen Daseins

Brief von Pater Eduardo Robles Gil an die Legionäre Christi und die Mitglieder der Bewegung Regnum Christi zum kirchlichen Hochfest der Mutter der Schmerzen

„Maria stand aufrecht am Fuß des Kreuzes Christi, damit wir – zusammen mit ihr und wie sie – vor allen Kreuzen, die die Menschen heute tragen, innehalten. Möge dies ein Charakterzug aller Apostel des Reiches sein: keine Angst davor zu haben, bis an die Ränder des menschlichen Daseins zu gehen.“

In einem Brief vom 15. September übermittelt P. Eduardo Robles Gil LC, neuer Generaldirektor der Legionäre Christi und des Regnum Christi, einige persönliche Gedanken und Reflexionen zum kirchlichen Hochfest der Mutter der Schmerzen. Der vorliegende Text ist eine Übersetzung des spanischen Originals.


* * * 

Dein Reich komme!

 

15. September 2014

Hochfest der Mutter der Schmerzen

 

An die Mitglieder des Regnum Christi

 

Liebe Patres und Mitbrüder, liebe Freunde,

 

am liturgischen Gedenktag der Schmerzen Mariens, den unsere Ordensgemeinschaft als Eigenhochfest begeht, möchte ich Sie alle grüßen und Sie meines Gebets für Ihre Anliegen, Ihre Familien und Ihr Apostolat versichern.

 Am heutigen Tag lädt uns die Kirche ein, vom Herzen der Jungfrau Maria aus die Erhöhung Christi zu betrachten, der das Kreuz bestieg, um alle an sich zu ziehen. Zugleich lädt sie uns ein, seine Mutter, die mit ihm sein Leid geteilt hat, zu verehren. Aus dem Mit-Leiden der Jungfrau Maria, die treu beim Kreuz ausharrte, können wir viele Lehren ziehen, die uns helfen, unserer Berufung zum Apostel im Reich Gottes besser zu entsprechen. Als solche haben wir die Aufgabe, die barmherzige Liebe Christi zu verkünden und andere einzuladen, sich von ihm erobern zu lassen und so selbst zu Aposteln zu werden. Ich schreibe Ihnen, um gemeinsam mit Ihnen über einige dieser Lehren nachzudenken, die mir besonders wichtig erscheinen.

Das heutige Evangelium zeichnet in ein paar Pinselstrichen einen der Augenblicke nach, die für unser Heil entscheidend waren: „Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (Joh 19,25-27).

Wenn wir Maria am Fuß des Kreuzes betrachten, hilft uns das, die Wirklichkeit des Schmerzes und des menschlichen Leids in allen seinen Dimensionen vom Herzen und vom Glauben her bewusst zu erfassen. Wir haben alle in unserem Leben die Erfahrung von Leid gemacht. Maria, die sah, wie ihr Sohn verspottet wurde und darunter litt, lädt uns ein, unseren Blick zu heben, um die vielen leidenden Glieder des mystischen Leibes Christi zu entdecken. Wenn wir aufmerksam hinschauen, werden wir in unserem Umkreis Kranke und alte Menschen entdecken, Arbeitslose, Männer und Frauen, deren Ehe oder deren Kind eine schwierige Phase durchmacht, Waisen, Witwen, Menschen, denen das Leben Wunden geschlagen hat und die ihre Ideale verloren haben, Gefangene, Opfer von Gewalt, Krieg, Verfolgung oder Einsamkeit, Menschen, die teuer dafür bezahlen, der Stimme ihres Gewissens gefolgt zu sein, und vielleicht auch Menschen, die unserer eigenen Gleichgültigkeit zum Opfer gefallen sind…

Jesus Christus, der Gekreuzigte, möchte auch heute all jene trösten, die dieses irdische Jammertal durchwandern und Gott vielleicht sogar mit Tränen in den Augen die so menschliche und dramatische Frage nach dem „Warum“ zurufen.

Jesus antwortet vom Kreuz herab, manchmal auf kaum wahrnehmbare Weise, und lädt die Leidenden dazu ein, am Werk der Erlösung teilzunehmen. Durch ihr Leid sollen sie zusammen mit Christus etwas Gutes bewirken, indem sie ihr persönliches Leid mit seinem Leid vereinen (vgl. Johannes Paul II., Salvifici doloris, Nr. 26).

Wenn aber der menschliche Schmerz gleichsam eine Einladung Christi ist, das Augenmerk auf das zu lenken, was an seinem Leiden noch fehlt, dann stellt auch die Gegenwart der Schmerzensmutter auf dem Kalvarienberg für jeden von uns eine Herausforderung dar: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan (vgl. Mt 25,40). So ist Mariens Gegenwart ein Aufruf, gemeinsam mit Christus das Leid der anderen wahrzunehmen, es gemeinsam mit ihr, unser aller Mutter, zu verspüren. Sie lädt uns dazu ein, die Augen nicht vor dem Leid zu verschließen, sondern mitzuleiden, barmherzig zu sein, dem Leidenden Gutes zu tun. Mit ihrem Beispiel spornt sie uns an, alle unsere Brüder und Schwestern, die leiden, im Glauben wahrzunehmen. Und in diesen Leidenden eröffnet sie uns den Horizont des Himmelreichs, das im Dienst und in der Nächstenliebe bereits gegenwärtig ist. Manchmal kann man nur eines tun: die Menschen im Gebet und respektvoll aus der Nähe begleiten. Doch oft bietet sich einem auch die Möglichkeit, auf vielfältige Weise zu helfen.

Am Fuß des Kreuzes lehrt uns die Schmerzensmutter, in der Liebe kühn zu sein und, wie Papst Franziskus es immer wieder gerne ausdrückt, mit dem „leidenden Leib Christi in Berührung“ zu kommen. Maria lädt uns ein, wie der gute Samariter unsere Gleichgültigkeit abzulegen, uns auf den Weg zu machen und die eigenen Sorgen beiseite zu lassen: anzuhalten, Interesse zu zeigen, Wunden zu heilen, den Balsam der Nächstenliebe zu spenden, zu begleiten, zu verstehen, rechtzeitig da zu sein und, wenn nötig, um Vergebung zu bitten.

Dort, am Fuß des Kreuzes, besitzt die Liebe Mariens auch eine Dimension, die uns vielleicht entgehen kann: Sie wollte nicht der einzige Mensch sein, der Christus tröstet. Vielmehr hat sie sich von Johannes und den anderen Frauen begleiten lassen, damit sie miteinander vom Herrn lernen, wie man liebt. Wie viel Gutes tun uns jene Menschen, die uns dazu einladen, die natürliche Furcht vor dem Leid zu überwinden und den Schmerz des Nächsten zu lindern! Johannes hat es Maria zu verdanken, dass er da war, das von der Lanze durchbohrte Herz sah, die Liebe Gottes persönlich erfuhr und sie mit Leidenschaft verkünden konnte.

In unserem Leben und im Leben unserer Mitmenschen kann Leid auch dazu führen, dass sich unser Horizont verfinstert. Mich tröstet es sehr, in diesem Zusammenhang an Maria zu denken. Sie muss mit ansehen, wie ihr Sohn wie ein Verbrecher stirbt, und in ihrem Herzen erklingen dabei die Worte des Engels: „Er wird groß sein… Seiner Herrschaft wird kein Ende sein… Er wird sich auf den Thron seines Vaters David setzen… Er wird Sohn des Höchsten genannt werden“. Ich stelle mir Maria als Gläubige vor, die um ihren Glauben kämpft, die aufrecht steht, während ihr Glauben bis in seine Fundamente geprüft und erschüttert wird. Sie vertraut auf Gottes Wort, unabhängig davon, was sich vor ihren Augen abspielt. Sie vertraut darauf, dass Gott treu ist und wiederholt ihre Antwort: „Mir geschehe nach deinem Wort“.

Maria lädt uns dazu ein, es mit dem Leid aufzunehmen und dabei an ihrer Seite zu stehen – voll Glauben und christlicher Hoffnung. Sie ermutigt uns, mehr auf den Herrn als auf unsere eigenen Kräfte zu bauen. Sie spornt uns an, das zu tun, was in unseren Möglichkeiten liegt, und Gottes Plan in der Gewissheit zu folgen, dass er uns seine Gnade nicht vorenthalten wird. Maria steht aufrecht an der Seite ihres Sohnes und gibt uns so ein Beispiel der Hoffnung. Sie erinnert uns daran, dass die Größe eines Einzelnen, ob Mann oder Frau, —oder auch der Gesellschaft als Ganzes— „sich ganz wesentlich im Verhältnis zum Leid und zum Leidenden“ bestimmt. (Benedikt XVI., Spe salvi, Nr. 38) und sie bittet uns, uns begleiten zu dürfen und uns zu helfen, damit die Kreuze in unserem Leben einen Sinn erhalten.

An dieser Stelle schließe ich und lade Sie ein, Mariens Beispiel zu folgen. Sie stand aufrecht am Fuß des Kreuzes Christi, damit wir – zusammen mit ihr und wie sie – vor allen Kreuzen, die die Menschen heute tragen, innehalten. Möge dies ein Charakterzug aller Apostel des Reiches sein: keine Angst davor zu haben, bis an die Ränder des menschlichen Daseins zu gehen.

Gerne versichere ich Sie meines Gebetes und bitte ich zugleich um das Ihre.

Ihr,

P. Eduardo Robles Gil LC

(Übersetzung des spanischen Originals.)

Additional Info

  • Untertitel:

    Brief von Pater Eduardo Robles Gil an die Legionäre Christi und die Mitglieder der Bewegung Regnum Christi zum kirchlichen Hochfest der Mutter der Schmerzen

  • Datum: Ja
  • Druck / PDF: Ja
  • Region: Deutschland

    

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.

feedback